Sauen ansprechen – das Gewicht kann täuschen!

In Sekundenbruchteilen muss man sich entscheiden: Schießen oder nicht schießen? Sauen Ansprechen ist nicht einfach. Wir zeigen, was häufige Fehler sind!

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© Pauline von Hardenberg

Drückjagd: Das heisst Sauen ansprechen – in Sekundenbruchteilen! Aber: Besonders bei Sauen verschätzt man sich schnell. 

Diese Phänomen untermauert Chefredakteur Dr. Lucas von Bothmer anhand von drei eklatanten Fehleinschätzungen auf der Drückjagd. Biologin Dr. Nina Krüger gibt die Erklärungen, warum es zu diesen optischen Täuschungen kommt.

Auf Bewegungsjagden muss es schnell gehen, das liegt in der Natur der Sache. In Bruchteilen von Sekunden gelingt es uns intuitiv, Kitz oder Kalb von den dazugehörigen erwachsenen Stücken zu unterscheiden. Wechselt eine starke Bache mit deutlich kleineren Frischlingen an, ist eigentlich auch alles klar. Doch warum verschätzen wir uns bei einzelnen Stücken Schwarzwild immer wieder so dramatisch? Was unterscheidet Sauen ansprechen  vom Ansprechen des übrigen Schalenwilds? Drei Beispiele mit wissenschaftlicher Erklärung sollen Antworten auf diese Fragen bringen.

 Sauen ansprechen – Das Berg-Schwein

(wenn Sauen größer aussehen, als sie sind)

In Sekundenbruchteilen muss man sich entscheiden: Schießen oder nicht schießen? Sauen Ansprechen ist nicht einfach. Wir zeigen, was häufige Fehler sind!

© Pauline von Hardenberg. Wenn einzelne Sauen durch den Bestand huschen, fällt das Ansprechen oft schwer.

Schneejagd, Mitte Januar, irgendwann Anfang der 2010er Jahre. Ein Märchenwald voller Wild, ein toller Bodenstand in den hohen Buchen, zwischen zwei Dickungen, giftiger, tiefer Hundelaut, ein polternder, schwarzer Schatten verlässt die gegenüberliegenden Jungbuchen und rast geradewegs auf mich zu. „Frischling“, denke ich, als er 120 Meter weg ist. Ich warte mit Herzklopfen, lasse ihn kommen. Als er fast heran ist und einen kleinen Hang hinabflüchtet, um den Weg vor mir zu überfallen, überkommen mich auf einmal Zweifel. „Viel zu groß – und rabenschwarz!“, bellt es mir durch den Kopf.

In Sekundenbruchteilen muss man sich entscheiden: Schießen oder nicht schießen? Sauen Ansprechen ist nicht einfach. Wir zeigen, was häufige Fehler sind!

© Pauline von Hardenberg. Überläufer oder gut genährter Frischling? Ohne andere Sauen zum Vergleich schwer zu schätzen!

Da ist der Schuss auch schon raus. Die Sau hatte zwar einen kurzen Wurf und kurzen Pürzel, doch irgendwie hatte sie hangabwärts gigantisch ausgesehen. Das Seltsame war nur, dass das, was da vor mir auf elf Metern am Wegesrand schlegelte, sich als idealtypischer 35 Kilo-Frischling herausstellte. Wie hatte ich mich innerhalb von ziemlich langen 14 Sekunden, die ich dieses Stück gesehen hatte, nur so verschätzen können? Wie war es möglich, dass ich es weit entfernt richtig einschätzte und nah dran dann plötzlich glaubte, eine 80-Kilo-Bache zu sehen, um dann schlussendlich doch versehentlich richtig zu handeln? Dass man das Gewicht unterschätzt und deswegen Sauen ansprechen oft schief geht, war ein mir bewusst. Aber um 50 Kilo überschätzen? Das war mir noch nie passiert.

Erklärung: Die Standhöhe macht´s! 

In Sekundenbruchteilen muss man sich entscheiden: Schießen oder nicht schießen? Sauen Ansprechen ist nicht einfach. Wir zeigen, was häufige Fehler sind!

©Pauline von Hardenberg. Schnelle Sau am Hang: Neben dem Ansprechen muss auch der Schuss stimmen! Hier hat es nicht gepasst.

Untersuchungen haben ergeben, dass sich die Dimensionen von Objekten auf Augenhöhe mit größerer Sicherheit richtig einschätzen lassen. Der Horizont wird dabei unbewusst als Referenz- bzw. Vergleichsgröße genutzt. So ist zu erklären, dass Größen und Entfernungen vom Boden aus genauer geschätzt werden können als von erhöhten Ständen.

Dabei wirkt der Blick hinauf vergrößernd, der Blick hinab verkleinernd auf das betrachtete Objekt.  Zwar nimmt die Schätzgenauigkeit mit der Entfernung ab, hier scheint aber das Fehlen des Horizonts bei der Hangabwärts-Flucht des Frischlings eine erheblich größere Wahrnehmungsverschiebung der Größe, also eine optische Täuschung, verursacht zu haben als die Entfernung selbst, die sich ja bereits deutlich verringert hatte.

Was wir unbewusst entscheiden, geschieht meist aufgrund vieler vorangegangener ähnlicher Situationen. Je häufiger wir ähnliche Situationen erlebt haben, desto genauer ist diese spontane Einschätzung. Deshalb steckt hinter der Behauptung „Der erste Eindruck zählt“ einiges Wahres. Wem es spontan „zu jung“, „zu stark“, „zu schnell“ oder „der passt“ durch den Kopf schießt, liegt häufig richtig – vorausgesetzt, es handelt sich dabei um einen erfahrenen Jäger. Kommt es zum Sauen ansprechen also auch auf das Bauchgefühl hören!

Sauen ansprechen – Die Sauen in der Senke 

(wenn Sauen ihre Imposanz verstecken)

In Sekundenbruchteilen muss man sich entscheiden: Schießen oder nicht schießen? Sauen Ansprechen ist nicht einfach. Wir zeigen, was häufige Fehler sind!

©Pauline von Hardenberg. „Auch ein Rücken kann entzücken“, heisst es oft. Aber nicht, wenn es um Sauen ansprechen geht!

Durch diese hohle Gasse muss sie kommen. Oder lieber nicht. Denn wenn Ihnen das passiert, dann haben Sie womöglich ein schweres Bachenproblem. So jedenfalls ging es Albrecht K., einem Münchner Immobilienlöwen, der im Auto zum Stand (vor Zeugen) noch die Vorzüge der selektiven Schwarzwildhege gepriesen hatte und in dessen Schussbuch laut eigenen Angaben ausschließlich Sauen unter 50 Kilo aufgeführt waren.

Sauen Ansprechen könne er wie eine eins, tönte er vor der Jagd. Nach dem Abblasen stieg er aber einen halben Meter kleiner wieder in den Wagen, als er drei Stunden zuvor ausgestiegen war. Was war passiert? Eine, ach nein, gleich zwei einzelne Bachen waren ihn angewechselt. Und wie es der Zufall wollte, waren sie genau durch eine Senke gelaufen, so dass man nur ihre Rückenlinien sah. In der Eile hatte Herr K. all seine Vorsicht über Bord geworfen und gleich zweimal Funken gerissen. Wie eigentlich immer, wenn nicht freigegebene Stücke beschossen werden, kamen auch diese mit perfekten Schüssen zu liegen. Ein Desaster für den Sauenexperten K., eine helle Freude für seine aufmerksamen Zuhörer.

Erklärung: Das Gelände macht´s !

In Sekundenbruchteilen muss man sich entscheiden: Schießen oder nicht schießen? Sauen Ansprechen ist nicht einfach. Wir zeigen, was häufige Fehler sind!

©Pauline von Hardenberg. Kommen zwei Sauen, kann der Schütze die Größe viel besser schätzen.

Das Schätzen von Größen benötigt Erfahrung und im besten Fall etwas, das zu dem zu schätzenden Objekt in Relation gesetzt werden kann. Wechseln Sauen einzeln an, dient vor allem die Bestimmung von Entfernung und Geschwindigkeit zur Größeneinschätzung.

Gerade in unbekanntem Gelände sind jedoch Entfernungen trügerisch. Da die Einschätzung einer der Größen die andere beeinflusst, übertragen sich Fehler schnell. Hinzu kommt, dass nicht nur für große, schwere Menschen Objekte wissenschaftlich erwiesenermaßen kleiner wirken, als sie sind, sondern auch für jene, die erhöht stehen.

Hier addieren sich Senke und Drückjagdbock und verkleinern die anwechselnden Sauen optisch zusätzlich. Kann ein Objekt nur teilweise erkannt oder gesehen werden, vervollständigt unser Gehirn die erhaltenen Sinneseindrücke, bis sie ein komplettes Bild ergeben.

In diesem Falle das eines Frischlings. Aus Erfahrung wissen wir, dass in einer solchen Situation alles schnell gehen muss, will man die sich vermeintlich bietenden Chancen nicht verpassen. Es fehlt dem Aufgeregten die Zeit, das aufgrund von Teilinformationen entstandene Bild noch einmal kritisch zu bewerten, bevor der Schuss bricht. In einem solchen Fall ist es purer Zufall, ob das beschossene Stück innerhalb der Freigabe liegt oder nicht.

Sauen ansprechen – Der Kohorten-Effekt


Szene im Trailer ab 0:46.  Um den ganzen Film zu sehen, besuchen Sie JÄGERPRIME!

Eine Szene wie gemalt. Eine Rotte von zwölf Schweinen trollt durch einen Bruch, will den Schützen auf 30 Meter passieren. Der hat ideales Schussfeld, die Sauen haben ihn noch nicht bemerkt. Eine Leitbache ist eindeutig nicht erkennbar. Ein starker Frischling führt die Rotte an, die total homogen aussieht. Eigentlich Sauen ansprechen leicht gemacht. Der Schütze konzentriert sich gleich aufs erste Stück. Jetzt bloß ruhig bleiben, nicht mucken, Nerven bewahren. Rums! Wie vom Blitz getroffen geht der „Leitfrischling“ zu Boden, er repetiert und schießt sofort auf das zweite Stück, welches für ihn nicht erkennbar größer aussieht, als das bereits erlegte.

Da er gut abkommt und sich seines Schusses sicher ist, doch das Stück ohne zu zeichnen flüchtet, fehlt er ein drittes Stück, um dann noch das vierte aus der nun rasend schnellen Rotte herauszuschießen. Beim Bergen der Strecke dann das Mysteriöse: Etwa 80 Meter vom Anschuss liegt eine nicht führende Überläuferbache von 68 Kilo mit einem Schuss auf der 9 hinten. Diese wird ein Nachspiel haben. Bei der nächsten Jagd wird der Schütze als Treiber eingeladen.

Gut so, das lehrt Demut, denn sie lag nicht mehr in der Freigabe. Doch wie kam es zu diesem Fehler? Im Eifer des Gefechts? Oder aufgrund fehlender Relationen? Die Frischlinge hatten schon über 40 Kilo, der Überläufer 68, und diese 20 Kilo Mehrgewicht verstecken Sauen gerne in ihrem eher tonnenförmigen Körperbau. Zudem gibt es ein Wunschdenken beim Ansprechen von Wild. Vielleicht ist hier alles zusammengekommen.

Erklärung: Die Anzahl macht´s !

Zunächst spielt einmal die Zeit, die wir zum Sauen Ansprechen haben, eine Rolle bei der Genauigkeit. Es gibt das Phänomen der Wahrnehmung in Zeitlupe, das vor allem von Menschen, die sich in Extremsituationen befunden haben, beschrieben wird. Dabei werden Abläufe, die sich rasend schnell abspielen, wie ein Unfall, deutlich verlangsamt empfunden. Die Wissenschaft streitet noch darüber, ob der dabei ausgeschüttete Hormoncocktail die Hirnaktivität ankurbelt oder die Erinnerungen an das Erlebte nur in höherer Auflösung gespeichert werden.

In Sekundenbruchteilen muss man sich entscheiden: Schießen oder nicht schießen? Sauen Ansprechen ist nicht einfach. Wir zeigen, was häufige Fehler sind!

© Dr.Nina Krüger/ Philipp Rehefeldt. Die Grafik zeigt es deutlich: Sauen können ihr Gewicht gut verstecken!

Für die erste Theorie spricht, dass in potentiell lebensbedrohlichen Situationen Extremsportler die bewusste verlangsamte Wahrnehmung abrufen können. Dies gilt auch für versierte Drückjagdschützen mit ausreichend Erfahrung, wenn sie ihr Jagdfieber unter Kontrolle zu bekommen gelernt haben. Ihnen gelingt es so, aus einer Rotte, die für den ungeübten Beobach-
ter in einem Wimpernschlag außer Sichtweite ist, mehrere Stücke zu beschießen. Trotzdem kann es dabei zu Fehlern in der Wahrnehmung kommen. Wenn sich viele Objekte nämlich optisch nicht stark voneinander unterscheiden, dann stuft unser Gehirn sie ab einer gewissen Anzahl als gleich ein. Gerade bei Sauen, die aufgrund ihrer Körperform schnell ein paar Kilos verstecken können, passiert dies, wenn es schnell gehen muss (siehe Kasten).