Geweihentwicklung beim Rotwild – Kann man vom Rotwild-Spießer auf seine zukünftige Geweihentwicklung schließen?
Die Länge der Spieße entscheidet oft darüber, ob ein Rotschmalspießer weiterleben darf oder nicht. Denn die Stangenlänge soll Weiser der Veranlagung sein. Spanische Forscher haben dies nun untersucht und Erstaunliches herausgefunden. Dr. Nina Krüger fasst die Ergebnisse für Sie zusammen.
An keiner anderen Wildart scheiden sich die Geister so sehr wie am Rotwild. An der Antwort, welche Hegemaßnahme die richtige ist, sind schon Freundschaften zerbrochen. Warum? Weil in einigen Gebieten zur Populationsreduktion jedes Stück erlegt wird, das in Anblick kommt, und in anderen die Trophäenqualität als Hegekriterium gilt. So kann es vorkommen, dass unter Androhung drakonischer Strafen nur geringe Hirsche bestimmter Güteklassen freigegeben werden, um die Verteilung der genetischen Merkmale einer Population zu beeinflussen.
Der Einfluss des Rottiers auf die Geweihentwicklung beim Rotwild
Auf Drückjagden sind Rotwildspießer häufig nur bis zu einer bestimmten Stangenlänge freigegeben. Hegemaßnahmen haben sich seit jeher auf die männlichen Individuen einer Population konzentriert. Es wurde entnommen, was als minderwertig galt, und geschont, was man für ästhetisch empfand. Anhand der Geweihform ist jedoch nichts über die allgemeine Fitness eines Rothirsches abzulesen, sie ist lediglich ein menschliches Gütekriterium. Zwar sagt die Masse an sich etwas über den Werdegang und die Konstitution des Individuums aus – zur Geweihentwicklung wird Material aus bestimmten Teilen des Skeletts mobilisiert –, sie spiegelt aber nicht unbedingt den momentanen körperlichen Zustand wieder.
Viel Masse?
Es gilt jedoch als erwiesen, dass Körpergewicht und Geweihentwicklung positiv korrelieren und im Laufe des Lebens die Masse des Geweihs erst zunimmt, dann stagniert und im Alter weniger wird. Wodurch, und ob wir dies überhaupt beeinflussen, ist und war Grundlage vieler Forschungen. Besonders spanische Wissenschaftler haben sich mit der Frage beschäftigt, was genau Einfluss auf das Wachstum des Erstlingsgeweihs beim Rotwild nimmt, das häufig als Indikator für Veranlagung und spätere Geweihentwicklung herangezogen wird.
Wie eingangs bereits erwähnt, wird in den meisten Hegerichtlinien der Einfluss der Mutter auf die nachfolgende Generation entweder völlig außer Acht gelassen oder zumindest vernachlässigt. Dabei hat das Tier immer den größten Einfluss auf seine Nachkommen und bereitet den Weg eines jeden Hirsches ins Leben. Nicht nur, weil es mehr als fünfzig Prozent des genetischen Materials beisteuert, sondern auch, weil es die Embryonalentwicklung während der Tragzeit und die Frühentwicklung während des Säugens bestimmt.
Es kommt auf die Milch an
Da schon länger bekannt ist, dass die Säugezeit Einfluss auf die spätere Körpergröße von Hirschen nimmt, haben sich Forscher die Frage gestellt, ob sie auch einen Einfluss auf die Entwicklung des Erstlingsgeweihs nimmt. Sie fanden heraus, dass die Laktationszeit, die durch- schnittlich 18 Wochen andauert, einen Einfluss auf verschiedene Körpermaße wie Gewicht, Schulterhöhe, Brustumfang und Schädellänge im ersten Jahr der jungen Hirsche nimmt. Dabei zeigten vor allem Hirschkälber von Tieren, die zum ersten Mal setzten, ein geringeres Wachstum. Zudem erreichten sie die Gewichtsklasse, die für den Beginn der Geweihentwicklung notwendig ist, später. Auch beendeten sie das Wachstum des Erstlingsgeweihs später, aber mit einem geringeren Durchschnittsgewicht als ihre Altersgenossen von älteren Müttern. Es konnte ein negativer Zusammenhang zwischen dem Datum des Erscheinens der Rosenstöcke, deren Umfang und dem späteren Geweihgewicht beziehungsweise der Spießlänge festgestellt werden.
Die Rosenstöcke geben Aufschluss auf die Geweihentwicklung beim Rotwild
Je später die Rosenstöcke also erschienen, desto geringer fielen sie aus. Da der Umfang des Jährlings-Rosenstocks als Indikator für die spätere Geweihentwicklung herangezogen wird, wird vermutet, dass geringere Hirschkälber ein Wachstumsdefizit ein Leben lang nicht mehr aufholen. Ausschlaggebend dafür ist offenbar der Gehalt an Milchprotein, nicht etwa der von Fett, Milchzucker oder Mineralstoffen, und dieser Effekt kann mindestens bis zum zweiten Kopf verfolgt werden. Es überrascht auch wenig, dass jene Hirsche vom zweiten Kopf stärker als Gleichaltrige waren, die auch schon als Schmalspießer deutlich kräftiger beurteilt wurden. Damit hat die Säugezeit einen direkten Einfluss auf das Wachstum der ersten Lebensphase und dadurch indirekt auf die Geweihentwicklung. Erstaunlich war die Erkenntnis der Wissenschaftler, dass die Gewichtszunahme in der Säugephase für die Geweihentwicklung eine größere Rolle spielte als die Zeit zwischen Säugen und dem Wachstumsbeginn der ersten Spieße.
Männlicher Nachwuchs ist anspruchsvoller
Die Aufzucht von männlichen Nachkommen verlangt den Müttern mehr ab als die notwendigen Investitionen für Wildkälber. Ihr Geburtsgewicht ist höher, sie wachsen schneller und benötigen mehr Mineralstoffe. Um die ohnehin schon höhere Sterblichkeit von Hirschkälbern auszugleichen, investiert das Tier mehr in die Aufzucht. Dafür produzieren die Tiere nicht nur mehr Milch, sondern auch solche in einer anderen Zusammensetzung. Männliche Kälber erhalten eine proteinreichere Milch, und durch die größeren Produktionsmengen auch mehr Kalzium und Phosphor, die Hauptbestandteile von Knochen und damit Motor für Wachstum und Gewichtszunahmen. Kälber, die qualitativ bessere Milch erhalten, haben eine günstigere Mineralstoffzusammensetzung der Knochen und später des Geweihs.
Junge Rabenmütter
Wie bereits erwähnt, haben Kälber von Tieren, die zum ersten Mal setzen, im Durchschnitt etwas schlechtere Karten, ebenso solche von Tieren mit geringem Körpergewicht oder verminderter Körperkonstitution. Junge Mütter, die sich selbst noch im Wachstum befinden, müssen mit den Ressourcen haushalten und diese zwischen sich und dem Nachwuchs aufteilen. Mit dem Resultat, dass sowohl Mütter, die bereits als Schmaltier erfolgreich beschlagen werden, als auch deren Nachkommen geringer bleiben als solche Tiere, die sich das erste Mal mit drei Jahren fortpflanzen.
Der Inhalt der Muttermilch
Aber nicht allein das Alter der Mutter und somit ihr Körpergewicht spielen eine Rolle für das Geburtsgewicht, sondern auch die Produktion hochwertiger Milch. Milch wird bei Hirschartigen, ebenso wie bei Menschen, aus der täglich aufgenommenen Nahrung produziert und nur bei Versorgungsengpässen aus den körpereigenen Ressourcen und Fettdepots mobilisiert. Es ist aber vor allem der Proteingehalt der Milch, der für die körperliche Entwicklung von Bedeutung ist. Protein kann jedoch nur in geringen Mengen im Körper gespeichert werden.
Der soziale Rang des Alttiers
Kann der Energiebedarf eines Kalbs nicht mit der Aufnahme der Äsung des Tiers gedeckt werden, erhöht sich der Fettgehalt der Milch. Auch dazu sind eher Mütter mit höherem Körpergewicht und daher größeren Reserven in der Lage. Aber nicht nur das Alter spielt dabei eine Rolle, sondern auch die soziale Stellung eines Tiers. Diese hat direkten Einfluss auf den quantitativen und qualitativen Zugang zu Äsung und beeinflusst dadurch das Körpergewicht und die tägliche Äsungsaufnahme, die Milchmenge und -qualität bestimmen. Es wurde beobachtet, dass laktierende Tiere bevorzugt auf Flächen mit proteinhaltiger Vegetation äsen. In der Natur ist deren Verfügbarkeit jedoch beschränkt, und eine höhere soziale Position erlaubt auch einen früheren Zugang zu solcher Äsung.
Der Setztermin als Faktor bei der Geweihentwicklung beim Rotwild
Der Setztermin beeinflusst nicht nur die Menge der produzierten Milch, sondern auch deren Zusammensetzung. Es ist zu beobachten, dass später setzende Tiere weniger Milch produzieren als solche, die bereits zu Beginn der Setzzeit niederkommen. Später gesetzte Kälber wachsen langsamer und sind meist am Ende der Säugezeit geringer. Dies hängt vermutlich mit der Verfügbarkeit der Nährstoffe in der Äsung, die sich im Laufe der Säugezeit verändert, und einer bisher ungeklärten Reduktion der Äsungsmenge im Spätsommer zusammen. In diesem Zusammenhang steht auch die Beobachtung, dass Tiere, die später setzten, im Verlauf der Säugezeit häufig an Gewicht verlieren. Ein Hinweis darauf, dass eventuelle Defizite in der Milchqualität durch körpereigene Reserven ausgeglichen werden – damit wird die Milch fetthaltiger, der für das Wachstum wichtige Proteingehalt ist jedoch reduziert. Hinzu kommt, dass früher gesetzte Kälber vermutlich nicht nur bei ihren eigenen Müttern trinken, sondern auch bei später setzenden Tieren, denn die Höhe ihrer durchschnittlich größeren Gewichtszunahme kann nicht allein durch die Milchmenge und deren Zusammensetzung erklärt werden.
Spießer erlegt? Tränen sind nicht notwendig!
Somit spiegelt die körperliche Entwicklung des Kalbs und das Erstlingsgeweih weniger die genetische Disposition eines Individuums wieder als vielmehr die äußeren Bedingungen der ersten Lebensphase. Warum konzentrieren wir uns also bei unseren Hegemaßnahmen, die zum Ziel haben, starke, reife Hirsche zu ernten, so sehr auf das männliche Wild, wenn eigentlich das Tier bestimmt, wer einmal groß und stark werden soll? Natürlich widerlegt dies nicht, dass man häufig schon im Jugendalter erkennen kann, was einmal ein starker Hirsch werden will – anhand der Spießlänge lassen sich aber kaum die genetischen Veranlagungen ablesen. Darum sind weder Tränen noch Strafverfolgungen angesagt, wenn der erlegte Spießer höher auf hat, als freigegeben war, denn auch ein gerin- gerer Gleichaltriger kann das Zeug haben, starke Nachkommen zu zeugen.
Das Alter der Rottiere
Die frühe Entwicklung von Rotwildkälbern bestimmt über ihr ganzes Leben. Dass dafür nicht nur die genetischen Anlagen wichtig sind, sondern vor allem das Alter des jeweiligen Tiers entscheidend zu sein scheint, zeigen wissenschaftliche Studien. ( Bilder klicken zum vergrößern )