„Viele haben bei dem Thema Angst“ – Hubert Billiani wird im Interview deutlich

Die richtige Bejagung des Kahlwildes ist beim Rotwild der Schlüssel für einen starken und doch dem Biotop angepassten Rotwildbestand. HUBERT BILLIANI verrät im Interview, wie er sein Hegeziel erreicht.

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Bejagt man die "großen Roten" falsch, kann Rotwild sehr schnell zur Problemwildart werden. Foto: Unsplash/Diana Parkhouse

Rotwild ist eine faszinierende Wildart und eigentlich möchte jeder Jäger es in seinem Revier haben. Doch bejagt man die „großen Roten“ falsch, kann Rotwild sehr
schnell zur Problemwildart werden. Besonders die Leittiere der Rudel reagieren mit sofortiger Anpassung an zu hohen Jagddruck. Der Weg zum Erfolg hat viel mit jagdlicher Enthaltsamkeit zu tun und der Abschuss muss zur rechten Zeit erfüllt werden.

 

Redaktion: Herr Billiani, viele trauen sich nicht ans weibliche Rotwild heran. Wie wichtig ist die konsequente Kahlwildbejagung für den Bestand?

Hubert Billiani: Für einen ausgeglichenen Wildbestand ist die Kahlwildbejagung enorm wichtig. Wenn ich hier nicht eingreife, explodiert mir der Bestand, doch viele haben bei dem Thema Angst. Wenn manche Jäger am 1. Juni rausgehen und nur Schmalspießer schießen, weil sie ein Schmaltier nicht ansprechen können, verschenken sie viel. So nimmt das Kahlwild überhand und die Hirsche werden immer weniger. Es vermehren sich die Zuwachsträger.

 

Wie sollte das Geschlechterverhältnis im Rudel aussehen?

Das hängt immer davon ab, wie mein Wildbestand aussieht. In einem optimalen Bestand ist das Verhältnis 1:1. Schaut man sich die deutschen Bestände an, stellt man aber fest, dass es meist zu viel Kahlwild gibt und eher Verhältnisse von 1:2 oder sogar 1:3 gibt, das ist natürlich ganz schlecht. Dann aber einfach irgendwie das Kahlwild zu schießen, ist nicht die richtige Lösung. Es lernt schnell und wird nur noch scheuer. Das Kahlwild zieht sich dann stärker zurück und verursacht in der Kulturlandschaft nur noch mehr Schäden. Das Problem ist also hausgemacht.

 

Was ist denn die beste, effektivste und vor allem störungsärmste Bejagungsstrategie?

Die eine optimale Strategie gibt es nicht. Jedes Revier hat andere Bedingungen und jeder Jäger verschiedene Möglichkeiten. Einige jagen vielleicht lieber im Sommer und andere lieber im Herbst. Eine gut funktionierende Möglichkeit ist – und so hege ich mein Kahlwild – das Rotwild den ganzen Sommer über nicht zu bejagen. So wird es vertraut und tritt auch bei Tageslicht auf die Äsungsflächen. Im Herbst versuche ich, so weit möglich, nur Doubletten zu schießen, also immer Kalb und Alttier.

 

Doubletten sind ja nun eine schwierige Angelegenheit. Haben Sie da einen Tipp?

Dafür muss ich mit einem Freund auf die Jagd gehen und solche Doppelabschüsse sollten auch vorher auf dem Schießstand trainiert werden.
Die restlichen Stücke interessiert der Schuss dann gar nicht. Wenn ich nur das Kalb erlege, ist das Alttier meist schon weg und kommt auch nicht wieder zurück. Ein Negativerlebnis hat es aber trotzdem gehabt. Wichtig ist hier auch, die schwachen Stücke herauszuselektieren.
Man sollte nicht auf das erste austretende Stück und sein Kalb schießen, sondern der Stärke nach selektieren. Wenn ich ein starkes Kalb und ein starkes Alttier schieße, die den Winter sicher überlebt hätten und dafür ein schwaches Kalb und schwaches Alttier leben lasse, die dann eventuell beide im Winter aufgrund schlechter Vitalität verenden, habe ich gar nichts gewonnen. Das Kahlwild muss genauso selektiert werden, wie die Hirsche. Rotwild muss mit Hirn bejagt werden. Deswegen haben wir ja die starken Zunahmen der Rotwildschäden, weil es einfach falsch bejagt wird.

 

Der Gesetzesentwurf aus RLP schlägt vor, Alttiere auch vor ihren Kälbern zu erlegen. Was halten Sie als Fachmann davon?

Die Bindung von Alttier und Kalb ist beim Rotwild sehr stark. Erlegt man das Alttier, nimmt man dem Kalb seine Führung. Es explodieren nicht nur die Schäden, weil das führungslose Kalb sich eventuell anderer Äsung bedient, sondern es mindert auch die Überlebenschance des Kalbes generell. Das Führen zu den einzelnen Winteräsungsflächen und Fütterungen ist eine wichtige Aufgabe der Alttiere, die gerade in einem Wald mit Wild eine hohe Priorität haben sollte. Dieser Gesetzesentwurf ist absolut kontraproduktiv.

 

Ist es möglich, viel Rotwild und trotzdem wenig Verbiss zu haben?

Sicher! Wenn man es richtig lenkt, dann ja. Gerade hierfür sind die Alttiere wichtig. Mit ausreichend Äsungsflächen und Jagdruhen ist es gut möglich, beim Rotwild wieder eine Tagaktivität zu erreichen. Wenn es richtig bejagt wird, hat Rotwild vor dem Menschen wenig Scheu, dafür muss man sich nur die Rotwildbestände auf Truppenübungsplätzen wie in Grafenwöhr anschauen. Wenn ich durchs Revier fahre, dann bleibt das Rotwild stehen und flüchtet nicht.

 

Also sollte man gerade bei Rotwild besonders darauf achten, als Jäger nicht sichtbar zu werden?

Absolut, Schüsse vom Auto etwa sollten auf jeden Fall vermieden werden, sonst verbindet das Rotwild Autos und Mensch mit der Bejagung und zieht sich zurück, sobald ein Auto durchs Revier fährt, was ja häufig der Fall ist. Wenn ich mit dem Auto durch mein Revier fahre und ein Stück Rotwild sehe, das ich erlegen möchte, dann fahre ich erst einmal daran vorbei. Anschließend pirsche ich zurück und erlege das Stück. Dann gehe ich zurück zum Auto und erst, wenn sich das Rudel von selbst verzogen hat, was meist so nach einer bis anderthalb Stunden passiert, berge ich es. Der größte Fehler, den die Leute machen, ist, direkt nach dem Erlegen zum Stück zu gehen. Das Rotwild darf auf keinen Fall den Menschen oder das Auto mit der Bejagung verbinden.

Rotwild muss behutsam bejagt werden Foto: Unsplash/John Royle

Was ist Ihre favorisierte Jagdart: Morgen- oder Abendansitz?

Es spielt eigentlich keine Rolle, man sollte nur nichts im letzten Schusslicht erlegen. Erst recht nicht, wenn man das Stück noch eine Stunde liegen lässt vor der Bergung. Auch sollte man nicht sitzen, bis es stockfinster ist, denn das Rotwild steht auch in der Dunkelheit irgendwo in der Warteschleife. Besser sollte man verschwinden, solange es noch ein wenig hell ist. Nur weil wir das Rotwild nicht mehr wahrnehmen, heißt das nicht, dass das andersrum genauso ist. Es äugt und vernimmt hervorragend.

 

Bis wann sollte man mit seinem Kahlwildabschuss fertig sein?

Unseren Kahlwildabschuss haben wir bis Weihnachten erledigt. Wir schießen von Oktober bis Weihnachten etwa 45-50 Stücke Kahlwild. Ein großes Problem sind aber die endlosen Kirrungen, man müsste vor Weihnachten mit dem Kirren aufhören, damit das Rotwild sich auf die Notzeit einstellen kann. Oft wird gekirrt bis zum letzten Schusstag und dann wird plötzlich aufgehört. Dann kommt das Wild noch drei bis vier Tage an die Kirrung zum Schauen und fängt dann an, Schäden zu verursachen.

 

Welche Rolle spielt die Fütterung und was sind die favorisierten Futtermittel?

Meine favorisierten Futtermittel sind Heu, Maissilage, Grünsilage und für das Frühjahr etwas Biertreber, um das Wild noch etwas länger noch an die Fütterung zu binden. Man muss die Winterfütterung langsam ausschleichen. Das Wild verlässt die Fütterung, sobald woanders bessere Äsung wächst. Da wir kein Wintergatter haben, steht es dem Wild frei, zu gehen. Ich habe mich schon immer dagegen gewehrt, das Wild einzusperren. Die Fütterung spielt eine wichtige Rolle, um das Wild lenken zu können. Füttern wir nicht, steigt der Verbiss.

 

Warum sehen Sie die Wintergatter kritisch?

Da unser Wild sich sowieso schon nicht mehr frei bewegen kann, müssen wir es nicht auch noch einsperren. Besser wäre eine freie Fütterung, an der man mit so gutem Futter überzeugt, dass das Wild von selbst bleibt. Wir müssen unserem Wild diesen Freiraum zugestehen.

 

Was halten Sie von Drückjagden auf Kahlwild, um die Abschusspläne zu erfüllen?

Ich bin kein Gegner von Drückjagden, aber ich sage auch ganz ehrlich: Ich habe noch nie eine Drückjagd gemacht. Häufig sehe ich das Problem, dass einfach Wild erlegt wird, das gerade daherkommt und dass viele Jäger dabei sind, die auch nicht ordentlich Rotwild ansprechen können. Dem Selektionsabschuss widerspricht das ganze Konzept schon sehr. Außerdem hat das Rotwild nach vielleicht drei bis vier Drückjagden dazu gelernt und ist am Ende weder am Streckenplatz noch im Revier zu sehen.

 

Bei Drückjagden fällt ja auch nicht selten das Leittier eines Rudels, was meinen Sie? Wie wichtig ist es wirklich?

Ein Leittier hat viele wichtige Funktionen im Rudel. Wird es erlegt, dauert es aber nicht sonderlich lange bis die Position von einem anderen Tier übernommen wird. Das gibt die Natur vor, das Rudel braucht einen An- führer. Außerdem glaube ich, dass manche Jäger gar nicht wissen, wann sie ein Leittier erlegt haben.

 

Was sind Ihre fünf wichtigsten Punkte der Rotwildhege?

Das allerwichtigste sind die Äsungsflächen. Das Rotwild braucht genügend davon im ganzen Revier. Ich spreche hier nicht von zwei großen Flächen, sondern vielen kleineren Bereichen, sodass auch größere Rudel sich aufteilen können und in kleineren unterwegs sind. Der nächste Punkt ist die richtige Bejagung, gefolgt von der richtigen Fütterung. Außerdem sind Ruhezonen sehr wichtig, also Bereiche, in denen ganzjährig Jagdruhe herrscht. Der letzte Punkt ist die richtige Auswahl der Abschüsse, also sauberes Ansprechen und Erlegen.

Das Interview führte Dr. Stefan Birka.