Einmal im Leben Gamswild erlegen – der Traum vieler, die nicht in der Alpenregion beheimatet sind. Drei Dänen hatten die Nase voll vomTräumen und machten sich auf nach Österreich auf den Schneeberg. Max Steinar begleitete die drei auf ihrer Gamspirsch.
Etwa 100 Kilometer von Wien entfernt liegt der Schneeberg. Die höchste Erhebung des Bergmassivs beträgt 2.076 Meter, das ist Spitze in Niederösterreich. Die Hochebene von einigen Kilometern Durchmesser beherbergt einen guten Gamsbestand. Und eben dieser ist es, der uns vier Dänen aus dem hohen Norden hier in den tiefen Süden hat reisen lassen. Denn wer träumt nicht davon, einmal einen Gams zu erlegen.
Es ist Anfang August, denn seit dem Ersten ist alles Gamswild frei. Mit dem Wetter haben wir Glück, sieht man einmal von den Temperaturen ab: 30 Grad Celsius, und das im Schatten! Das heißt: früh aufstehen, um 5.30 Uhr ist Aufbruch zur Jagd! „Bei diesen Temperaturen ist das Gamswild nur am Morgen aktiv. Bereits am frühen Vormittag sucht es den Schatten auf und bleibt dort bis zur Abenddämmerung“, erklärt uns Berufsjäger Johann Herrschter. Palle Johansen und ich werden von Johann, Lars Buchard und Kåre Hartmann von Ewald Schenner geführt.
Palles erster Bock
In Johanns Fiat Panda fahren wir ein Stück den Berg hinauf. Von dort aus geht es zu Fuß weiter bergauf durch Buchenwald. Es ist unglaublich, dass derart große Bäume in der Lage sind, genügend Nährstoffe aus dem felsigen Boden zu ziehen. Beim Klang rollender Steine verharren wir. Ein Stück Wild hat uns mitbekommen und zieht nun bergauf. Aber der Wald ist noch zu dicht, um zu sehen, worum es sich handelt. Also weiter. An der Spitze eines Felsvorsprungs erreichen wir einen Ansitz, von hier aus haben wir endlich Sichtfeld. Johann sucht den gegenüberliegenden Hang mit dem Fernglas ab. Auch Palle versucht, auf der anderen Seite der Schlucht Wild auszumachen. „Hey!“, Palle flüstert in Richtung Johann, „da steht ein alter Bock!“ Nun sieht auch Johann das Stück Gamswild. Und tatsächlich – ein passender Bock!
Erstaunlich diese Ansprechkünste, wenn man bedenkt, dass Palle noch nie zuvor im Leben ein Stück Gamswild in Anblick hatte und der Gams über 200 Meter entfernt ist. Doch wie auch immer – Palle soll schießen, wenn er möchte. Und wie er will! Rasch begibt er sich in Position. Johann fingert seinen Entfernungsmesser aus dem Rucksack: 207 Meter! Das passt, schießt Palles 7 mm Rem. Mag. doch auf 200 Meter Fleck. Palle atmet tief durch, hält dann den Atem an und lässt fliegen. Im Schuss macht der Bock eine Flucht nach vorn, dann einige zur Seite, bevor er wieder verhofft, als wäre nichts geschehen. „Gefehlt!“, kommentiert Johann, „versuch’s noch mal!“
Der zweite Schuss trifft und lässt den Bock kurz nach vorn flüchten, bevor er unseren Blicken entschwindend den Hang hinunterstürzt. Und was nun? „Lasst uns schaun’“, sagt Johann, hebt seinen Rucksack auf und wir beginnen, die Schlucht zu umgehen. Auf der anderen Seite angekommen, dauert es geraume Zeit, bis Johann den Gams in einer kleinen Felsspalte entdeckt. „Waidmannsheil!“ ruft er Palle zu. Wenig später liegen sich beide überglücklich in den Armen. Genaueres Betrachten ergibt, dass der erste Schuss nicht gefehlt hat, sondern weidwund traf. Der zweite Schuss ging mitten ins Leben. Johann begutachtet die Krucken mit ihren Jahresringen und stellt fest, der Gams ist sieben Jahre alt. Palle strahlt über alle Wangen, hat er doch immer schon von einem reifen Gams geträumt.
Nach dem Aufbrechen verstauen wir den Bock in Johanns Rucksack, denn der 46-Jährige will ihn allein runter zum Auto tragen. Er versichert uns, dass er dies schon viele Male gemacht hat. Seine größte Sorge sei, dass Palle und ich vorsichtig beim Abstieg sind. Das spätere Wiegen ergibt, dass Johann nun 27,5 Kilogramm zusätzlich mit sich herumschleppt.
Auch Geissen Sind Reizvoll
Auch Lars hatte in der Früh jagdlichen Erfolg. Er konnte einen Bock erlegen und hat sich damit einen lang gehegten Traum erfüllt. Palle, Lars und Kåre waren von Anbeginn daran interessiert, einen Gams und keine Geiß zu erlegen – so sind sie halt, die Skandinavier. Weibliche Stücke interessieren sie nicht. Doch Ewald und Johann überzeugen sie vom Gegenteil. Sie erklären uns, dass die einheimischen Jäger eine alte Geiß weit mehr schätzen als einen Bock. Die alte Geiß ist misstrauisch und sehr vorsichtig, das mache die Jagd um einiges reizvoller. Vor allem Kåre, der noch keinen Jagderfolg zu verbuchen hat, spitzt bei den Erklärungen die Ohren.
Kåres erste alte Geiss
Am Nachmittag fahren wir so weit wie möglich auf den Schneeberg und parken das Auto. Von hier aus geht’s den Rest des Aufstiegs zu Fuß weiter. Nach eineinhalb Stunden erreichen wir fast den Gipfel. Hier oben ist die Hochebene normalerweise tagsüber voll mit Touristen. Am Wochenende können es bis zu 2.000 pro Tag sein. Das Wild hat sich nach und nach daran gewöhnt. So bekommt man Gamswild in Anblick, das unter 100 Meter neben vorbeiwandernden Menschen ganz friedlich äst. Ewald möchte, dass wir zur Plateaukante pirschen, entfernt von den Touristen. Auf dem Weg dorthin überraschen wir ein Stück Gamswild. Wie dieses es vermag, mehr oder weniger ins Nichts zu flüchten und weiter unten sicher im fast senkrechten Hang zu landen, übersteigt meine Vorstellungskraft.
Ewald hat Augen wie ein Adler. Auf der Nordseite des Bergs stehend, erspäht er eine Geiß in 700 bis 800 Metern Entfernung. Doch nicht genug, er spricht sie auch noch als eine wirklich gute Geiß an. Mit Kåre im Schlepptau will er sie angehen. Kåre, ein Mann von 110 Kilo, folgt ihm. Sein Atem ist unüberhörbar, als er und Ewald sich in Richtung eines Felsens vorarbeiten. Hier angelangt, zeigt der Entfernungsmesser 220 Meter bis zur auf dem Rand einer Schlucht stehenden Geiß. Ewald fragt Kåre, ob er sich zutraut zu schießen. Und ob er sich das zutraut. Nachdem er sich und seine .300 Win. Mag. eingerichtet hat, verharrt er eine Weile. Schließlich muss er erstmal seinen Atem in den Griff bekommen. Als er sich sicher fühlt, schießt er. Die Geiß flüchtet nach vorn von uns weg, bevor sie sich überschlägt, ein paar Meter den Hang hinunterrutscht und verendet.
Ein kräftiges „Waidmannsheil!“ entfährt es Johann. Und freudestrahlend liegen sich beide in den Armen. Nun gehen wir zum Stück. Ewald lächelt breit, als er die Krucken in Augenschein nimmt: „Nochmals Waidmannsheil! Du hast gerade eine alte, schlaue Geiß von neun Jahren erlegt!“ Obwohl Kåre von allen drei Jägern die bei den Österreichern begehrenswerteste Trophäe erbeutet hat, lässt es sich nicht verhindern, dass die beiden anderen – etwas neidischen – Jagdkameraden ihn auf der langen Heimreise mit „Ladykiller“ necken.