Wie wahrscheinlich ist der Wolfshybrid?
Der brandenburgische Landesjagdverband und auch der linke Landtagsabgeordnete omas Domres interessierten sich aber sehr wohl dafür. Domres stellte eine Anfrage an das Umweltministerium. Dort zog man das Senckenberg Institut zurate. In 1.100 Proben, die es in den vergangenen zehn Jahren aus Brandenburg untersucht haben will, hatte es keine Hybriden bestätigen können. Warum, soll Nowak von Wurmb-Schwark in einem weiteren Telefonat erklärt haben. Seiner Erfahrung nach paarten sich Hunde nur äußerst selten mit Wölfen in freier Wildbahn. „Wir haben das gleiche Verfahren angewandt, das wir auch zur Abstammungsanalyse bei Hunden verwenden. Es ist international anerkannt und liefert zuverlässige Ergebnisse.
In den USA wird es genutzt, um Wolf-Kojoten- Mischlinge zu identifizieren“, kontert von Wurmb-Schwark Nowaks Erklärungen. Auch die spätere Unterstellung, sie sei zu dem Ergebnis gekommen, weil sie ausschließlich Timberwölfe als Referenz verwendet habe, weist sie lächelnd zurück. Sie habe mit ihren Mitarbeitern die umfangreiche Datenbank, die ihr als Vergleich diente, selbst angelegt. Es befänden sich ausreichend unterschiedliche Wolfsproben eindeutiger Herkunft darin.
Häufig Wolfshybriden in Europa
Internationale Studien zeigen zudem, unabhängig von der verwendeten Methode, dass Hybridisierung zwischen Wölfen und Hunden kein selten oder neu auftretendes Phänomen ist. So fand eine 2017 veröffentliche Studie (Pilot et al. 2017) mit demselben Verfahren, das auch Senckenberg nutzt, heraus, dass es zwar keine sogenannten Hybridenschwärme in Europa gibt, aber doch 62 Prozent der untersuchten Wolfsproben eindeutig Hundegene aufwiesen. Und zwar solche, die auf stete Vermischung der beiden Canidenarten hindeuten. Besonders auffällig sei das Auftreten eines Gens, das eine schwarze Deckenfarbe verursacht. Etwa ein Viertel der europäischen Proben stammten aus Italien, der Rest zumeist aus Osteuropa. Die Studie zeigte auch, dass es in Europa viel häufiger zu Paarungen zwischen Wölfen und Hunden kommt als etwa in den USA oder Asien.
Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass nur die Entnahme fehlfarbener Individuen kaum zur Reduktion der Mischlinge führte, da viele Hybriden morphologisch nicht erkennbar seien und sich die EU-Entnahmeregelung nur auf bestimmte Folgegenerationen beziehe. Schon 2014 stellte eine andere Studie (Randi et al. 2014) fest, dass besonders die italienische Wolfspopulation mit Hybridisierungen unterschiedlicher Grade zu tun hat, und zwar mit der Methode, die auch von Wurmb-Schwark anwendet. Laut einer dritten vergleichenden Studie (Fabbri et al. 2012) funktionieren beide Methoden, die unterschiedliche Fehleranfälligkeit ist kaum signifikant. Es komme dabei jedoch auf Anzahl und Qualität der untersuchten DNA-Abschnitte an – am besten seien solche, die wenig Spielraum für Fehlinterpretationen lassen, so die Forscher.
Das Thema Wolfshybrid in Frankfreich
Ungeachtet aller Kritik setzte man auch in Frankreich auf die Kompetenz von ForGen. Das Institut untersuchte dort unlängst rundfünfzig Rissproben. Und auch hier fanden sich etliche Wolf-Hund-Hybrid-Genome – und zwar fast ausschließlich solche mit ein und derselben Hunderasse. Studien eines weiteren Labors deuten mittlerweile in eine ähnliche Richtung, fanden aber weniger Mischlinge als ForGen. Es ist jedoch durchaus möglich, dass die Wolfspopulation regional unterschiedlich stark mit Hundegenen durchsetzt ist. Könnte dies trotzdem, zusammen mit den Befunden aus Brandenburg, nun die Bestätigung der Gerüchte sein, dass Hybriden gezielt in ganz Europa ausgewildert oder zumindest unvorsichtig aus Gehegen freigelassen wurden?
Die Autoren der oben genannten, 2014 veröffentlichten Studie vermuten so etwas ebenfalls für Italien, ziehen aber auch andere Erklärungen in Betracht. Bisher wurden solche Behauptungen für Deutschland mit dem Argument zurückgewiesen, dass sich genetisch keine Mischlinge nachweisen ließen. ForGen will dies nun widerlegen – nicht weil das Institut selbst ein Interesse an Wölfen hätte, sondern weil es einen Ruf zu verteidigen hat.
Streitpunkt Wolfshybride
Auch in der Schweiz sorgte ForGen für Furore. Zwei von dort untersuchte Proben enthielten Hunde- und Wolfs-DNA aus Russland. Mit Verweis auf eine frühere Studie der Universität von Lausanne wurde das Vorkommen von Hybriden jedoch offiziell sofort bestritten. „Das wundert mich nicht“, sagt von Wurmb-Schwark dazu. „Die Kollegen haben sich nur die mitochondriale DNA (mtDNA) angesehen, die ausschließlich von der Mutter auf ihre Nachkommen vererbt wird. So kann man überhaupt nichts nden.“ Denn die Wahrscheinlichkeit, dass eine Wölfen von einem Hunderüden gedeckt wird und die Nachkommen in der freien Wildbahn verbleiben, ist ungleich höher, als umgekehrt.
Somit bleibt auch in den nächsten Generationen die mitochondriale DNA ausschließlich wölfisch, egal wie viele männliche Wölfe oder Hunde noch eingekreuzt werden . Die Aussagekra einer solchen Untersuchung wäre minimal, das bestätigt auch Nowak, fügt aber hinzu: „Bei Rissproben ist es normal, dass nur die mitochondriale DNA herangezogen wird. Sie reicht zur Artbestimmung aus und ist robuster als die Kern-DNA, die schnell unbrauchbar wird.“ Ob mehr als das untersucht werde, bestimmen in Deutschland die betreffenden Bundesländer, die auch die alleinigen Rechte an den Daten hätten – der Grund, warum sie nicht öffentlich für jedermann zugänglich seien.
Verschwundene DNA-Proben?
Verglichen mit ihrer forensischen Arbeit, die strafrechtlich relevante Gutachten liefert, hält von Wurmb-Schwark die Wolfsgenetik für intransparent: „Es müsste doch auch für andere Labore möglich sein, DNA-Proben von beispielsweise überfahrenen oder verendeten Wölfen zu bekommen. Aber alles verschwindet auf Nimmerwiedersehen in wenigen, ausgewählten Instituten.“ Sie vermutet, dass dies absichtlich geschehe. Die Weitergabe der Daten sei nicht seine Entscheidung, sondern eine politische, sagt Nowak dazu.
Diese Vorgehensweise bemängeln beide Wissenschaftler gleichermaßen, auch wenn sie sonst wenig gemeinsam haben. Denn von Wurmb-Schwark ergänzt: „Was man aus den Ergebnissen meiner Untersuchungen macht, muss in einer politischen Diskussion erörtert werden.“ In einer, in der entschieden werden sollte, ob man akzeptieren möchte, dass die europäische Wolfspopulation zu gewissen Anteilen mit Hundegenen durchsetzt ist oder nicht.
Wolfshybrid oder nicht – eine politische Entscheidung?
In einem Forschungsfeld ohne jahrzehntelange Erfahrungen – Wölfe gewinnen ja erst seit etwa zehn Jahren wieder an Bedeutung in den hiesigen Landschaften – ist es im Grunde nicht verwunderlich, dass sich zwischen den unterschiedlichen Lagern ad hoc kein Konsens finden lässt. Andere Wissenschaftler wie Albert Einstein und Niels Bohr haben sogar Zeit ihres Lebens miteinander gestritten. Beim Thema Wolf muss erst einmal das Rad erfunden werden. Bei so großem öffentlichen Interesse und gleichzeitig so hohem Streitpotential ist es aber mit Sicherheit nicht der Verschluss von Daten, der die Debatte beenden kann.