Offener Konflikt?
Wenige Tage später klingelte ihr Telefon, so von Wurmb-Schwark. Am anderen Ende soll ihr Nowak damals erklärt haben, dass Wölfe keine Deichschafe reißen würden und ihr Ergebnis daher nicht stimmen könne. Er habe sie aufgefordert, sich zukünftig aus seinem Hoheitsgebiet – der Wolfsgenetik – herauszuhalten. Verdutzt sei von Wurmb-Schwark damals gewesen, habe den Vorfall aber schnell vergessen. So erging es Nowak offenbar ebenfalls, denn er kann sich auf Nachfrage an so einen Anruf gar nicht erinnern. Er zweifle zwar an der Aussagekraft der Methode von ForGen und halte eine Veröffentlichung von Wahrscheinlichkeiten für gefährlich, will aber nichts von ernsten Unstimmigkeiten zwischen den Laboren wissen.
Das sieht von Wurmb-Schwark anders. Nowak befürchtet, dass Wahrscheinlichkeitsangaben Genetik-Laien leicht suggerieren, man könne daraus den erblichen Anteil der jeweiligen Hunderasse bzw. Wolfsunterart ablesen. Es wird damit nur angegeben, wie hoch die Übereinstimmung einer DNA-Sequenz mit den Vergleichsdaten ist. So sagt eine Übereinstimmung von 80 Prozent zwar aus, dass eine Probe mit großer Sicherheit von einemWolf stammt, nicht jedoch, dass die übrigen 20 Prozent von einem Hund sein müssen. Eine gewisse Übereinstimmung – bis zu 35 Prozent – ist bei Hunden und Wölfen durch ihre enge Verwandtscha nämlich nicht ungewöhnlich.
Nowak ist nun von der neuentflammten Diskussion um Wolfshybriden in Deutschland überrascht. Sein Labor habe bisher nur sehr selten Wolfshybrid (Wolfs-Hund-Mischlinge) nachweisen können. Die kürzlich in den Medien aufgetauchten Behauptungen, die Hybriden von Ohrdruf seien von ihm nicht erkannt worden, weist er zurück. Zwar wurden diverse Rissproben aus der Region untersucht, aber erst letzten Herbst, als die Hybriden bereits auf Bildern entlarvt worden waren, konnten sie auch eindeutig genetisch nachgewiesen werden. Vorher seien sie schlicht zu jung gewesen, um Spuren zu hinterlassen.
Referenzdatenbanken: In der ForGen Datenbank befinden sich 8.000 Proben von 100 Hunderassen und rund 80 Profile unterschiedlicher Wolfsunterarten, deren Herkunft sich eindeutig nachvollziehen lässt – sie stammen vorrangig aus Zoos, die seit Generationen Zuchtbücher führen. Auch das Senckenberg Institut verwendet eine selbsterstellte Referenzdatenbank, die vor allem aus Proben aus freier Wildbahn besteht. Sie umfasst etwa 800 Einzelindividuen aus Deutschland, 250 aus anderen Ländern wie Polen und Italien und 100 Karpatenwölfe. Eine genetische Abstammungsanalyse ist immer nur so gut wie die Referenzdatenbank, mit der man die zu untersuchende Probe vergleicht.
Um dies zu verdeutlichen, stellt man sich einen Stuhl vor. Man weiß nur, dass es ein Stuhl ist, weil man dies so beigebracht bekam. Alle Stühle, die man je gesehen hat, stellen die Referenzdatenbank dar. So erkennen wir einen Stuhl, egal ob aus Holz, Plastik oder Metall, sofort. Hätte man uns aber nicht gleichzeitig den Unterschied zu einem Sessel erklärt, so würden wir beides vielleicht aufgrund der Ähnlichkeit für einen Stuhl halten. Befinden sich in einer Referenzdatenbank also unter dem Oberbegriff Stuhl nicht nur Stühle, sondern auch Sessel, sind diese nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Dies ist mit Hunden und ihren unterschiedlichen Rassen vergleichbar.
Brandenburgs Timberwölfe
Für die Proben aus Brandenburg, die im Sommer 2017 von Schafrissen im Landkreis Dahme-Spreewald kamen, hat Nowak ebenfalls eine Erklärung. Er macht von Wurmb- Schwarks Referenzdaten und ihre Methodik verantwortlich. Ein Jäger hatte unweit der Risse einige Haarbüschel gefunden und sie an ForGen geschickt. Die Untersuchung ergab ein DNA-Pro l, das von Wurmb- Schwark so noch nicht gesehen hatte. Es wies viele Übereinstimmungen mit Wölfen auf, genauer kanadischen Timberwölfen, aber ebenso viele mit Hunden, genauer Hütehunden.
Keine Hunderasse in ihrer Datenbank zeigte eine mehr als 35-prozentige Übereinstimmung mit der Wolfs-DNA in ihrer Datenbank, während Wolfsproben normalerweise eine mindestens 80-prozentige Übereinstimmung mit den Referenzsequenzen aufwiesen. Diese Probe lag bei jeweils 50 Prozent. Sie beriet sich mit amrikanischen Wissenscha lern und einem Statistiker, bis die einzig plausible Lösung offenlag – was von Wurmb-Schwark hier gefunden hatte, waren mit hoher Wahrscheinlichkeit Mischlinge aus Wölfen und Hunden. Wie sich allerdings Timberwölfe nach Brandenburg verirrt haben konnten, blieb ihr ein Rätsel. Am Ende der Laborbank habe ihr Interesse für Wölfe damals jedoch aufgehört, so von Wurmb-Schwark.