Die Kantonsstraaße 6 bei Meiringen im Berner Oberland lädt mit ihren langen Geraden eigentlich zum Schnellfahren ein. Schon tagsüber ist hier allerdings nur 80 Stundenkilometer erlaubt. Wenn die Dämmerung einbricht, zeigt eine große digitale Anzeige dann: Tempo 40! Der Grund ist die große Gefahr von Wildwechsel an der Straße. Häufig sind Wildunfälle die Folge. Könnte eine solche Wildwarnanlage den Schutz für Wild und Mensch an Straßen revolutionieren?
Wildunfälle im Berner Oberland: Warnanlage soll Abhilfe schaffen
Die Geschichte um die Wildwarnanlage im Berner Oberland beginnt schon im Jahr 2014. Als zu dieser Zeit ein Wildschutzzaun um den Militärflugplatz Meiringen errichtet wurde, musste aufgrund von Umweltauflagen eine Ersatzmaßnahme für die regionalen Wildtiere ergriffen werden. Denn diese nutzten den nun abgesperrten Talboden eigentlich, um von einer Talseite zur anderen zu wechseln – aber auch als Wintereinstand war die Fläche beliebt. Das Problem: Der Zaun stellt ein unnatürliches Hindernis dar – das bringt die Quervernetzung von Populationen in dem Gebiet in Gefahr. Laut der aktuellen Ausgabe der „Flugplatznews“ sei der Zaun nur bei den Ausfahrten passierbar.
Unterstützung von Bund und Kanton
Bund und Kanton machten diesbezüglich primär Probleme für die lokale Rothirschpopulation aus und schoben daher, wie „Der Bund“ berichtet, das Projekt Wildwarnanlage an. Denn gerade an den passierbaren Stellen könnte es zu Kollisionen kommen, die für Wild und Mensch verheerend verlaufen können. Die Maßnahmen werden seit 2021 realisiert – die Kosten teilen sich der Bund mit 500.000 Franken und das Kanton Bern mit 300.000 Franken.
Gerade in der Dämmerung kommt es zu vermehrtem Wildwechsel entlang des Talbodens. Der gebietszuständige Wildhüter Martin Schürmann erklärt die Problematik gegenüber der Presse: „Der Talboden ist für sie und andere Wildtiere interessant wegen des Nahrungsangebots, etwa durch Wintersaat oder weil gewisse Bereiche früh ausapern. Zudem kann Streusalz des Winterdiensts die Tiere auf die Straßen locken.“
Die Kombination aus der langen, geraden Straße, die zum Schnellfahren einlädt, und dem großen Nahrungsangebot für die Wildtiere sorgt für ein großes Risiko für Wildunfälle. Diese können fatal sein. Denn der Aufprall mit Wildtieren setzt bei hohen Geschwindigkeiten gewaltige Energien frei, die auch für den Menschen hochgefährlich sein können.
Wildunfälle stellen große Gefahr für Tier, Mensch und Fahrzeug dar
Da es sich beim Rothirsch nicht um ein kleines Wildtier handelt, birgt die Population zwischen Brünig und Willigen dabei eine sehr viel größere Gefahr, denn die Wucht bei einem Aufprall mit einem Rothirsch ist bedeutend höher als bei einem Reh oder Fuchs. Es geht also sowohl um das Wohl der Tiere, die bei solchen Unfällen meist verenden, als auch um die Gefahr für Fahrerinnen und Fahrer in der Region.
Hier kommt die Wildwarnanlage ins Spiel: Die Anlage soll dadurch, dass Fahrzeuge an kritischen Fahrzeugabschnitten langsamer sind, sowohl die Häufigkeit als auch die Folgen durch einen Zusammenstoß mindern.
Gefahr in den kalten Jahreszeiten besonders hoch
Vor allem im Herbst und Winter ist die Gefahr für Wildunfälle durch die Verschiebung der Dämmerung besonders hoch. Die Kantonstraße 6 soll in diesen Zeiten durch den automatischen Betrieb der Anlage gesichert werden. 86 Sensoren entlang der Straße reagieren dabei auch Wärme und Bewegung von Wildtieren. Sie schalten die Geschwindigkeitsbeschränkung je nach Bedarf auf 40 oder 60 Stundenkilometer herab. Diese Begrenzung bleibt dann ab Eingang des Signals 20 Minuten bestehen, sofern keine weiteren Signale eintreffen.
Der aktuell laufende Testbetrieb soll Optimierungen für den nächsten Winter ermöglichen. Ziel sei, so Straßeninspektor Peter Flück-Ufer, ab November 2025 einen voll automatisierten Betrieb zu ermöglichen.
Wildhüter Martin Schürmann zieht eine ermutigende Zwischenbilanz. «Wir dürfen feststellen, dass die Wildwarnanlage die Unfallhäufigkeit um drei Viertel reduziert hat.»