Wildes Treiben – Blattjagd aus einer anderen Perspektive

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Am Ende entscheidet der Jäger, ob der Finger gerade bleibt oder nicht. (Foto: unsplash/ Brendon van Zyl)

Die Blattjagd ist der jagdliche Höhepunkt des Sommers? DR. STEFAN BIRKA hat dazu eine etwas andere Meinung.

Die Blattzeit kommt! Endlich. Alle Jahre wieder überschlägt sich die Jägerschaft in Deutschland aufs Neue. Zumindest kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man ab und an seinen Blick über den Ticker jagdlicher Social-Media-Kanäle schweifen lässt. Neuste Blattermodelle hier, Fieptonechtheit da und zwischendrin immer wieder Erlegerbilder. Je mehr, desto besser. Doch hat sich das heutige jagdliche Tun nicht eigentlich schon zu weit von seinen traditionellen Wurzeln entfernt? Der Mensch neigt ja in vielerlei Hinsicht oft zur Übertreibung. Sind wir Jäger nicht eigentlich auch nur Menschen?

Und ewig fiept das Reh

Wie lange Jäger schon das Rehwild mit Fieptönen locken, wird wohl nie final geklärt werden können. Einige Quellen reichen bis ins Hochmittelalter zurück. Erste gefertigte Blatter kann man ungefähr auf den Anfang des 19. Jahrhunderts datieren. Mag das Rehwild früher auch eine niedere Wildart gewesen sein, so war und ist es doch unsere am weitesten verbreitete Schalenwildart. Die Hege des Rehwilds wurde über die Zeit immer weiterentwickelt und der Weg führte weg von der reinen Fleischjagd.

Das Jagen in der Blattzeit veränderte sich so ebenfalls. Die klassische Blattjagd des 20. Jahrhunderts hatte die selektive Jagd auf den reifen Bock als Ziel. Üblicherweise hatte man ihn schon seit dem Frühjahr bestätigt. Die Natur selbst stellte oft den Blatter in Form eines kostengünstigen Buchenblattes bereit. Die zarten Töne von geübten Lippen verführten den sonst so vorsichtigen Erntebock. Dann gab es vielleicht noch ein bis zwei andere Bockkandidaten im Revier und damit war die Bockjagd dann für das Jagdjahr beendet.

Schöne, neue Blattjagd

Wo steht die Blattjagd heute? Von der fast beschaulichen Lockjagd auf den Wunschbock ist in einigen Revieren wenig geblieben. Die Blattjagd ist inzwischen oft zu einem Instrument der Rehwildreduktion mutiert. Macherorts werden die Begehungsscheinjäger zusammengetrommelt, da „hier noch irgendwo ein Bock sein muss.“ Andernorts werden All-you-can-shoot-Events gebucht und die schmachtenden Töne ziehen noch den letzten, unerfahrenen Jährling aus der schützenden Naturverjüngung. Stolze Jungjäger knien hinter ihrem ersten Bock, den man ihnen nach dem Zufallsprinzip vor die Büchse geblattet hat. Orchestriert wird dies von einem medialen Rauschen via Facebook, Instagram und Co.

Bundesländer wie Brandenburg und Sachsen haben die Jagd auf Ricken und Kitze gleich mit eingepreist. Ab 1. August ist das gesamte Rehwild frei. Neben dem liebestollen Bock kann so auch gleich das getriebene Schmalreh in die Kühlzelle übersiedeln. Kitze in Fuchsgröße und „mehrjährige Schmalrehe“ folgen meist unmittelbar. Rehwild- doubletten im hochsommerlichen Treiben – ein jagdlicher (Alb)Traum?

Man darf gespannt sein, ob nicht auch bald elektronische Locker die Blattjagd bereichern. Weg vom handwerklichen Blatter, hin zur modernen Technik. Tierlaut-Apps, Bluetooth-Lautsprecher und Handy sind ja schon vorhanden. Die Wärmebilddrohne zum Aufspüren von Wild wird sicherlich auch noch ihren Teil beitragen.

Andere Wege zur Blattzeit

Ich für meinen Teil habe mich in jungen Jahren natürlich auch an den Fiepflöten versucht. Zu groß war der Wunsch, den alten, gewieften Bock vor die Büchse zu bekommen. Die Erfolge waren eher mäßig. Irgendwann kam für mich die Frage auf, ob es nicht auch andere Wege gibt. Vielleicht alles etwas zu viel Hype? Jeder darf im gesetzlichen Rahmen jagen, wie er will und es sei jedem gegönnt. Aber ab und an kann man sein Jagen auch einmal hinterfragen. Ich kam dabei für mich zu dem Schluss, dass die Blattzeit nicht mein Fall ist.

Die jagdlichen Entscheidungen trifft immer noch der Jäger vor Ort.

Seitdem ist die Bockjagd für mich eigentlich im Juni abgeschlossen. Nur weil der oft politisch grün angehauchte Gesetzgeber den Bock in manchem Bundesland mit 10 Monaten Jagdzeit bedenkt, muss man es nicht ausnutzen. Die jagdlichen Entscheidungen trifft immer noch der Jäger vor Ort. Mit dem Start der Bockjagd selektiere ich früh und intensiv den Bockbestand durch und danach herrscht für das gesamte Rehwild erst einmal wieder Ruhe.

Schlechteres Fleisch zur Blattzeit

Nun mag mancher sofort eine mangelnde Wildfleischqualität im Frühjahr ins Feld führen. Ja, durch den Haarwechsel ist es manchmal etwas schwieriger sehr sauber zu arbeiten. Es ist aber trotzdem möglich, wenn auch etwas aufwendiger. Ein im Frühjahr mit guten Fettreserven erlegter Bock ist mir immer noch lieber, als ein erschöpfter Hormonbock, der die Kugel in der sommerlichen Gluthitze erhielt. Dadurch, dass die Böcke in der Blattzeit kaum äsen und nur auf Freiersfüßen wandeln, leidet auch ihre Fleischqualität. Die oft große Hitze und die vielen Insekten sind auch nicht unbedingt ein Garant für bestes Wildbret.

Sommerliche Höhepunkte

Die Hundstage um den sommerlichen Monatswechsel sind für mich vor allem die Zeit der Stoppelansitze. Die jungen Füchse sind auf den gelben Äckern unterwegs. Die Waschbären streben den Obstbäumen am Rande der Felder zu. Die Dachse haben oft dasselbe Ziel. Und die Sauen wissen am Abend oft noch nicht, dass am Tage ihr ährenreiches Buffet geerntet wurde.

Ein Höhepunkt des Jagdjahres ist für mich dabei die Zeit der Strohballen. Zu kleinen Türmen aufgeschichtet, bieten die Ballen einen hervorragenden Ansitz. Eine Decke auf dem Stroh bringt den nötigen Komfort, um die ganze Nacht auszuharren. Das Handy bleibt am besten im Auto. Ein alkoholfreies Bier darf hingegen gerne mit. Jagdliche und andere Wünsche hat schließlich ein jeder in ausreichendem Maß. Ab und an ein jagdlicher Rundumblick ist natürlich Pflicht. Dabei kann man mit etwas Glück auch den Tanz der Glühwürmchen an der Waldkante genießen.

Und sollte im morgendlichen Dämmerlicht ein hochinteressanter, ja vielleicht sogar abnormer Bock in Anblick kommen, dann kommt der Vorsatz der Blattjagdabstinenz vielleicht doch noch einmal auf den Prüfstand. Denn wir Jäger sind doch auch nur Menschen, oder?