Berlin ist die Hauptstadt der Trendsetter. In Hinterhöfen, Eckkneipen und Lofts kreieren Individualisten jene Trends, die von hier über die Nation fluten. Einer davon ist Street Food, ein anderer regionale Nachhaltigkeit. Beides vereinen die Gebrüder Ahrens in ihren Wildburgern und -currywürsten.
Als ich Sebastian Ahrens auf der Messe Eat&Style treffe, winkt er mir mit einem eingegipsten Arm zu. Seine Brüder Jasper, Matthias und ihre Freundin Ann-Christin sind schon fleißig bei den Vorbereitungen. Cool sehen sie alle aus mit ihren schwarzen Handschuhen und Schürzen, die das selbstdesignte „Hirsch&Eber“-Logo ziert. Schon am vorherigen Tag war ihr kleiner Wildgrill gut besucht, und heute soll der Ansturm noch größer werden. Tatsächlich, bewaffnet mit den neuesten iPads und den ältesten Spiegelreflexkameras trudeln die Frühaufsteher unter den hip gekleideten Foodbloggern in den alten Postbahnhof ein, erwartungsvoll und immer auf der Jagd nach dem nächsten Höhepunkt. Wir sind mitten im Herzen der Trendmetropole Berlin.
Gutes Essen braucht Zeit
„Ich kann hier sowieso nicht viel helfen“, sagt Sebastian nach einer herzlichen Begrüßung mit Blick auf seine fixierte Linke, und wir setzen uns ein Stück entfernt an einen Tisch. Mein Magen knurrt schon, denn ich habe mich beim Frühstück nur auf Kaffee beschränkt. Aber ich muss noch geduldig sein. „Gutes Essen braucht seine Zeit“, sagt der junge Gastronom. „Deshalb bevorzugen wir die Bezeichnung Street Food statt Fast Food. Das erinnert sonst zu sehr an amerikanische Massenprodukte.“ Ein bisschen unsicher lächelt der 32-Jährige noch, während erste Fotos geschossen werden. An die Aufmerksamkeit, die ihm und seinen Brüdern entgegengebracht wird, seit sie den zweiten Platz unter den Top 10 der innovativsten Burger-Schmieden Berlins belegt haben, hat er sich noch nicht so ganz gewöhnt. Seit über einem Jahr sind sie so richtig im Geschäft, und von Anfang an ist es ein voller Erfolg. Wobei er sich verletzt habe, möchte ich wissen und hoffe auf eine dramatische Geschichte über die Jagd nach der Grundzutat ihrer vielgepriesenen Wild- Burger. Aber Sebastian lacht nur und winkt ab. Er selbst habe gar keinen Jagdschein, genauso wenig wie seine Brüder. Ich bin erstaunt. Dass man ein Restaurant eröffnet, das auch Wild auf der Karte hat, ist ja nichts Ungewöhnliches. Aber sich ausschließlich darauf zu spezialisieren, Fast Food aus heimischen Wäldern anzubieten, ohne Jagdschein zu haben, schon.
Familienunternehmen
Jasper, der älteste der Brüder, kam auf die Idee. Aufgewachsen mit der Jagd und beflügelt vom erwachenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit, wurden schnell die ersten Schritte in dem Familienprojekt getan. Zu Anfang sollte es nur Bratwürste geben. Mittlerweile gehören neben einer Wildcurrywurst aber auch Burger zum festen Programm der drei Trendsetter. „Die Street Food-Szene explodiert gerade. Im Gegensatz zu herkömmlichem Fast Food wird hier Wert auf jede einzelne Zutat gelegt. Wenn man da mitmischen will, ist es wichtig, etwas Besonderes zu bieten, und wir haben die Erfahrung gemacht, dass Wild einen sehr hohen Stellenwert in der Gesellschaft hat“, so der erfolgreiche Regisseur und Drehbuchautor. Man muss es anscheinend nur massentauglich verpacken. Wenn so etwas auf Anhieb funktioniert, dann in Berlin.
Nachhaltig ist das Motto
Sebastian besuchte also ein Gründerseminar, bevor er sich in die Selbstständigkeit stürzte, eigentlich hat er nämlich Informationsmanagement studiert. Mittlerweile lebt er von seiner Liebe zu Menschen und gutem Essen. Leidenschaftliche Hobbyköche waren sie aber alle schon immer. So wurden Freunde und Familie als Testesser rekrutiert. Nach einigem Experimentieren stand fest, Wildschwein eignet sich am besten als Grundlage für die Burgerpatties. Es schmeckt nicht zu intensiv, und selbst Wildmuffel lassen sich so schnell überzeugen. Zu Beginn beschränkte man sich auf Wild aus dem brandenburgischen Fläming. Das reicht aber schon lange nicht mehr. Zu groß ist die Nachfrage nach dem wilden Szenetrend, den das Hirsch&Eber-Team auf Märkten, Großveranstaltungen oder privaten Festen anbietet.
Die Brötchen stammen aber noch immer aus einer Berliner Biobäckerei, die Soßen und eingelegten Gurken aus der eigenen Vorbereitungsküche. Regional, nachhaltig, natürlich ist das Motto.
Es gibt auch vegetarisches
Nur wenige Meter weiter gibt die vegane Köchin Nicole Just vor laufenden Kameras Tipps zur Geschmacksverbesserung. Ob sie schon mal auf Kritik gestoßen sind, frage ich, während die hagere Blondine selbstbewusst die spitze Nase ins Rampenlicht hält. Sebastian zuckt unbekümmert mit den Schultern. Denn negatives Feedback sei bisher nicht zu ihm durchgedrungen – einvernehmliche Co-Existenz scheint quasi ein ungeschriebenes Gesetz der Szene zu sein. „Wild ist nachhaltig, gesund und total gefragt“, lässt er mich wissen. „Wir beschränken uns aber trotzdem nicht auf fleischlastige Gerichte. Vielfältigkeit ist uns wichtig, und wir nutzen alles, was uns Wald und Flur bieten. Wir hatten auch schon einen rein veganen Burger auf der Karte. Anstatt Wildbret haben wir Portobellopilze verwendet. Unser Konzept ist wild, aber es muss nicht immer Fleisch sein.“
Ein Hauch von Wildnis
Die Schlange vor dem Grill ist mittlerweile lang. Trotzdem ergattere ich eine der begehrten Spezialitäten. Das Warten hat sich gelohnt. Saftiges Wildbret, knackiger Salat und süße Gurken vereinen sich intensiv, während die säuerliche Portwein-Zwiebel-Soße angenehm auf der Zunge prickelt. Ein Burger der Spitzenklasse, den man nicht hinunterzuschlingen wagt. Auch das Bifana, ein Snack nach portugiesischem Vorbild, ist köstlich. Serviert wird ein Sandwich gefüllt mit hauchdünnen, marinierten Wildschweinscheiben, gekrönt mit einer feinen Senfnote. Spätestens jetzt ist klar, warum die Jungs von „Hirsch&Eber“ so erfolgreich sind. Sie bieten, wonach die trendhungrigen Hauptstädter lechzen – Individualität, Geschmack und einem Hauch Wildnis.