„Einmal, im letzten Herbst“, erzählte der Jäger, „folgte ich einem kapitalen Hirsch. Ich vergaß die Zeit; es dunkelte, wurde Nacht. Ich verlor den Weg. Geriet in einen Sumpf und sank. Ich schrie um Hilfe; niemand hörte mich.“ „Und wie kamen Sie wieder heraus?“, fragte die schöne Zuhörerin erbleichend. „Gar nicht. Ich ertrank.“
Eine Anekdote wie Wasser auf die Mühlen derer, die uns Jäger einen flexiblen Umgang mit der Wahrheit vorwerfen. Sie wird bei Jägern gern auf dem Altar der guten Unterhaltung geopfert. Ist die Wahrheit oft schnöde wie ein Kiesel, glitzert die Lüge zuweilen wie ein Diamant. Der Zweck heiligt die Mittel, auch beim Storytelling, so lauten die Vorurteile. Vorurteile?
Zugegeben, diese Geschichte treibt es etwas auf die Spitze. Die Spannungskurve steigt steil an, um dann in einem narrativen Paradoxon zu eskalieren. Oder anders formuliert: Wer so lebendig flirtet, kann schwerlich tot sein.
Schon Bismarck stellte einst fest, dass nie soviel gelogen würde, wie vor den Wahlen, während des Krieges und nach der Jagd.
Sollte er mit der Jagd Recht haben, ist die Frage, wann die Lüge als Kavaliersdelikt zulässig- und wann sie aus ethischen Gründen zu verurteilen ist.
In Zeiten hoher Schwarzwildbestände, wo das Jagen mit der Kugel hohe Ansprüche an die Fähigkeiten der Schützen stellt und Nachsuchengespanne fast durchgehend im Einsatz sind, erscheint es zunehmend unangebracht. Jedem, der viel zur Drückjagd geht, kommt das bekannt vor: „Und, bei Ihnen?“, fragt man den Nachbarn, nachdem es dort dreimal geknallt hat. „Hier kam nichts, rein gaaar nichts.“,antwortet dieser im Brustton der Überzeugung.
Das ist dann zwar das Gegenteil von Prahlerei, gebrochen Jägerlatein quasi, aber es bleibt eine Lüge. Und zwar eine mit oftmals schlimmen Folgen für das Wild.