Seit 2013 gibt es in Deutschland wieder Wisente in freier Wildbahn. Das ist schon aus zwei Gründen erwähnenswert: Zum einen gibt es das europäische Wildrind sonst nur noch in Polen, der Ukraine und Russland als freilebendes Wildtier. Die größte Herde lebt im Białowieża-Nationalpark, im Grenzgebiet zwischen Polen und Weißrussland. Zum anderen ist es gerade im dichtbesiedelten Deutschland und hier ausgerechnet im bevölkerungsreichsten Bundesland, Nordrhein-Westfalen, nicht selbstverständlich eine Großwildart neu anzusiedeln. Schon gar nicht, wenn es sich dabei um bis zu 3 Meter lange und 2 Meter hohe Wildrinder handelt, bei denen die Bullen gerne über 500kg schwer werden.
Wie alles begann: Der Tag an dem die Zäune fielen
Ich kann mich noch gut an die Stimmung erinnern, als am 13. April 2013 in Bad Berleburg das Gatter geöffnet wurde. Damals diskutierten Waldbesitzer, Anwohner und Kommunalpolitik heftig über die Machbarkeit der Auswilderung. Anwohner befürchteten Unfälle. Aufgrund der Anfälligkeit der Tiere für Rinderkrankheiten bezweifelten Tierschützer die Überlebensfähigkeit der Wisente. Ausgeklügelte Konzepte zur tiermedizinischen Versorgung der Herde widersprachen dagegen der Idee von Wisenten in freier Wildbahn. Das Projekt begann mit einer Herde aus 8 Tieren. langfristig sollte sich eine Herde von maximal 20 bis 25 Tieren entwickeln. Viele waren skeptisch, wie lange es dauern würde, bis so viele Kälber in Freiheit geboren würden. Tatsächlich hat die Herde ihre Sollstärke in knapp 9 Jahren erreicht. Unfälle bei denen ein Mensch verletzt wurde gab es nur einmal. Ansonsten verhalten sie sich wie echte Wildtiere: Wenn sie nicht über ihre Peilsender gefunden werden, bekommt sie eigentlich niemand je zu sehen.Die meisten Wisente im Rothaargebirge sind in Freiheit geboren.
Eine wirklich gefährdete Art: Der europäische Wisent
Im Gegensatz zum Rückkehrer Wolf, ist das europäische Wildrind eine wirklich gefährdete Art. Anfang des 20 Jahrhunderts waren die Wildrinder in freier Wildbahn fast ausgerottet. Es überlebten nur kleine Gruppen in Gehegen. Diese Trennung in Kleinstpopulationen hat dem Genpool der europäischen Wisente nicht gutgetan. Inzucht und die Anfälligkeit für alle Arten von Rinderseuchen bedrohen den Bestand seit jeher. Zuletzt hat die Blauzungenkrankheit den Herden stark zugesetzt. Diese Anfälligkeit ist einer der Gründe, warum sie wieder frei leben sollen. Wildbiologen erhoffen sich davon eine Verbesserung der Widerstandskraft der Tiere, die den Fortbestand der Art zu sichern hilft.
Wisente und Wissenschaft: Freiheit unter Aufsicht
Die wildbiologische Begleitung des Auswilderungsprojektes hat wertvolle Informationen zur Biodiversität geliefert. Wisente in freier Wildbahn sind eindeutig eine Bereicherung und helfen bedrohten Arten zu überleben. Ein unscheinbarer Profiteur sind Dungkäfer. Auch einige Unterarten der Dungkäfer sind vom Aussterben bedroht. Doch die Wisente verbessern ihren Lebensraum deutlich. Wie alle Megaherbivoren beeinflussen sie ihren Lebensraum und schaffen Nischen für Pflanzen und Tiere, die sonst schlechte Karten zum Überleben haben. Die wissenschaftliche Begleitung der Wisente in freier Wildbahn hat auch unerwartete Erkenntnisse geliefert. So wissen wir heute, dass die großen Wildrinder in freier Wildbahn ein wesentlich größeres Wandergebiet nutzen als angenommen. Galten 2013 die rund 5000 Hektar fürstlicher Waldbesitz noch als ausreichend, haben wir gelernt, dass sie eher die dreifache Fläche durchwandern. Leider führt genau dieser Umstand zu den Konflikten, die das Auswilderungsprojekt heute bedrohen.
Trotz ihrer Größe sind sie in der freien Wildbahn gut getarnt.
Artenschutz im Paragraphen-Dschungel
Freilebende Wisente und zugewanderte Wölfe beurteilen wir rechtlich sehr unterschiedlich. Beide Arten sind streng geschützt. Doch während Wölfe sich quasi selbst wieder ansiedelten, wurden die Wisente aktiv ausgewildert. Über die Auswilderung gibt es einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen, dem Kreis Siegen-Wittgenstein und dem Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein e.V. Der Trägerverin hat die ausgewilderten 8 Wisente ursprünglich zu diesem Zweck angeschafft. Heute besteht die Herde aus 25 Tieren die überwiegend in freier Wildbahn geboren sind. Gehört diese Herde nun immer noch dem Verein Wisent-Welt-Wittgenstein oder sind es mittlerweile herrenlose Wildtiere? Im ersten Fall würde der Verein für die Herde haften, im zweiten Fall nicht. Auf dieser Frage beruhen die meisten juristischen Streitigkeiten um die wilden Wisente im Rothaargebirge. Im Prinzip ist es ein Streit um die Begleichung von Wildschäden, denn Wisente schälen.
Wisente im Jagdrecht
Für Wisente gibt es aktuell keine Jagdzeiten. Aufgrund seiner hohen Schutzstufe ist es nicht in die Bundesjagdzeitenverordnung aufgenommen worden. Da Wisente in freier Wildbahn bei uns nur in Nordrhein-Westfalen in Freiheit vorkommen, gilt das Landesjagdrecht. Darin sind die Wisente zwar als jagdbares Wild gelistet, haben jedoch ebenfalls aufgrund ihres hohen Schutzstatus ganzjährig Schonzeit. Sollte es notwendig werden ein Wisent zu erlegen, weil es verunfallt ist oder aus anderen Gründen der Herde entnommen werden muss, geht das nur mit Sondergenehmigung. Tatsächlich ist das schon ein paar Mal vorgekommen. Ein verunfallter Jungbulle wurde 2016 erlegt. Einige andere Tiere wurden der Herde entnommen um Rangkämpfe nicht ausarten zu lassen.
Wisente als Jagdwild
Jagdlich interessant sind Wisente in europas freier Wildbahn derzeit eher in den Jagderzählungen längst vergangener Tage. Das die Jagd auf Wisent-Bullen dereinst hoch im Kurs stand, zeigt eine Anekdote aus Kaiser´s Zeiten. So verzeichnet das Streckenbuch seiner kaiserlichen Majestät Wilhelm II für den 12. November 1915 die Erlegung eines Wisents. Brisant an diesem Eintrag ist das Revier: Gefallen ist der Wisent im russischen Hofjagdrevier Belowesch. Da sich das Deutsche Kaiserreich zu dieser Zeit bereits im Krieg mit dem zaristischen Russland befand, hat sich der Monarch hier offenkundig einen lang gehegten Wunsch erfüllt und sich selber zur Jagd eingeladen. Tatsächlich hat Zar Nikolaus II den Wunsch des deutschen Kaisers in Belowesch auf Wisent zu jagen stets ignoriert. Wer heute auf Wisent jagen möchte, wird wohl nach Belarus reisen müssen. Alternativ käme eine Jagd auf die nordamerikanischen Verwandten unserer Wisente, den Bison, in Frage.