Sehr geehrter Herr Kieling,
wir sind uns nie begegnet – doch Sie sind ein Held meiner Jugend.
Das erste Mal sah ich Sie vor sicher zwanzig Jahren in der „Wild und Hund“. Das Bild von Ihrer aufgeschlitzten Backe hat mich damals schwer beeindruckt. Sie schweißten fürchterlich, ein grober Keiler hatte sie angenommen. Über Monate hatten Sie sich bei den Sauen einquartiert, ihre Verhaltensweisen studiert. Sie waren ein verwegener Mann. Buchstäblich „saucool“ fand ich Ihren lila Anorak, quasi eine modische Hommage an Ihre ostdeutsche Herkunft. Damit hoben Sie sich wie ein Popstar ab von den lodig-gediegenen Meinhards und Happs der Szene. Dabei waren – und sind – Sie einer von denen, einer von uns, ein Jäger, ein Rüdemann.
Nur wenige wissen: Sie sind sogar ausgebildeter Berufsjäger! Ihren Lehrprinz kenne ich gut. Er erlebte Sie als gelehrigen Schüler. Ihm imponierte, wie Sie einst als angeschossener DDR-Flüchtling durch die eiskalte Donau gekrault waren – um im gelobten Westen ein neues Leben anzufangen. Dort, wo Meinungs-, Presse- und Eigentumsfreiheit unveräußerliche Rechte darstellen. Und die BRD war gut zu Ihnen. Sie wurden Fernsehabenteurer, sie schafften, was kaum einem Jäger gelungen ist, avancierten zum gefragten Tierfilmer, wurden prominent. Und je prominenter, desto „nicht-Jäger“.
Die Gefallsucht im Rampenlicht gehört zu den tückischen Mechanismen moderner Massenmedien. Und da die Jagd insgesamt nur wenigen gefällt, erklärt das die Kieling’sche Abneigung für sie. In einer Zeit, so vollgestopft mit Informationen, Ereignissen und Nachrichten, dass viele Menschen sich heillos überfordert fühlen, wirken Populismus und Fernsehen wie Rum und Cola – eine gefährlich gute Mischung gegen Kopfzerbrechen. Die AFD hat das erkannt, Heiko Maas übt noch – und Hannes Jaenicke hat es erfunden: Sie alle verwechseln Behauptungen mit Tatsachen, sie alle schüren Ängste durch Vereinfachung, sie alle sind auf ihre eigene Weise erfolgreich damit. Da, lieber Waidkamerad Kieling, wollten Sie nicht tatenlos zusehen. Also streben Sie derzeit die Deutungsmacht über die deutsche Wildnis an. Sie erzählen im ZDF, wie Bleimunition den Artenschutz gefährde. Sie greifen „die Jäger“ pauschal an, auch jene, die längst bleifrei schießen.
Neulich behaupteten Sie gar im NDR, dass Ihr Schweißhund dafür da sei, Sie vor Bären auf Expeditionen zu warnen! Mit keiner Silbe erwähnten Sie die Riemenarbeit.
In Ihren aktuellen Videos trauern Sie mit tragischer Winnetou-Miene um den „lethal entnommenen“ Problemwolf „Kurti“, als sei ein alter Freund von Ihnen gegangen. Das Problem an diesen Aussagen ist nicht Ihr alberner Inhalt. Das Problem ist auch nicht, dass Sie sich wieder mal moralisch selbst befriedigen. Das Problem, lieber Herr Kieling, ist, dass Menschen wie Sie einfach nicht verstehen, wie dieser so verlockende Populismus die Meinungsvielfalt gefährdet, weil er Einfachheit vorgaukelt, wo Differenzierung gefragt ist.
Sie als Vorbild haben eine hohe Verantwortung für die Wahrheit – und für die daraus resultierende Meinungsfreiheit Ihrer Zuschauer. Warum sagen Sie denen nicht mal, dass Jäger freiwillig Großes leisten? Dass knapp 100 „Kurtis“ schon unter die Räder gekommen sind? Dass die Landbevölkerung ihre Kinder gern angstfrei draußen spielen lassen will? Dass es ein paar Gründe für einige Wölfe – und dutzende Gründe gegen tausende Wölfe bei uns gibt?
Geehrter Herr Kieling, Sie sind längst kein Vorbild mehr. Sie leugnen Ihre Wurzeln, Sie manipulieren Ihre Zuschauer. Sie schaden mit Ihrem billigen Opportunismus nicht nur dem Anliegen der Jagd, das unbequem aber wahrhaftig ist. Sie schaden auch der Meinungsfreiheit in ganz Deutschland.
Ihr Lucas von Bothmer