Ist Wildfleisch bio? Die Frage nach Zertifikaten, Trends und echter Nachhaltigkeit

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Ob Reh, Hirsch oder Wildschwein, Wildfleisch aus der Region hat seine Qualitäten. Fotos: Marvin Rodriguez

Die „Bio“-Welle schwappt schon seit langem durchs Land. Wenn etwas nicht vegan ist, dann muss es doch bio sein, um als modernes Lebensmittel zu gelten. Aber ist Wild bio? DR. STEFAN BIRKA geht der Frage nach.

Noch vor ein paar Jahren schossen Bioläden wie ökologische Pilze aus dem Boden und viele Landwirte stellten ihre Betriebe auf Biolandwirtschaft um. Ja, selbst die großen Lebensmitteldiscounter brachten reihenweise eigene Biolebensmittel in ihre Märkte. Es hatte und hat teilweise schon die starke Anmutung eines gehypten Trends.

Eigentlich ist der Grundgedanke des Biolebensmittels ein wirklich guter. Die Verbraucher möchten sich bewusster ernähren, wollen auf Chemie verzichten und Verbesserungen beim Tierwohl fördern. Doch wie so oft führt ein expandierender Markt zu einer Art Goldgräberstimmung und nicht alles wird dann immer so sauber gehandelt, wie es doch eigentlich sein sollte. Auf einmal will jeder mitmachen und auch mitverdienen. Manchmal wird dann auch geschummelt oder gar gezielt betrogen.

Natürlich versuchen auch Jäger als Lebensmittelhändler der ersten Stufe ihr Wild aus heimischen Wäldern und Feldern zu ordentlichen Preisen zu vermarkten. Schnell wird dem Überläufer einmal das Prädikat „Biofleisch“ oder „ökologisch“ aufgedrückt und der Wildkunde scheint damit dann im ersten Moment auch recht glücklich zu sein.

Buch mit sieben Bio-Siegeln

Die Vergabe von Biozertifizierungen und damit die Berechtigung, sein Produkt auch als „bio“ bezeichnen zu dürfen, ist in der Europäischen Union durch diverse EU-Öko-Gesetzeswerke festgelegt. In diesen weitreichenden Rechtstexten werden Standards festgelegt. Diese immer vollständig zu verstehen, fällt schwer. Gesetzeswerke aus Brüssel stehen nicht gerade für Transparenz und Anwenderfreundlichkeit. Zu den wesentlichen Biostandards zählen das Verbot von gentechnisch veränderten Organismen, eine Mindeststallfläche pro Tier, Umweltverträglichkeit, Futterzertifizierung und vieles mehr. Neben dem klassischen EU-Biosiegel gibt es inzwischen eine Unzahl an weiterentwickelten Biosiegeln, die neben den einheitlichen EU-Standards noch weitere Anforderungen formulieren. Manchmal wird es dabei fast ein bisschen esoterisch. Eins haben aber alle gemeinsam: private Zertifizierungsfirmen vergeben das Siegel nach Prüfung an die Lebensmittelerzeuger.
Doch was ist nun eigentlich des Siegels Kern? Letztendlich ist ein Biosiegel nur Ausdruck dessen, dass man Pflanzen oder Tiere von der Aussaat oder Geburt bis zur Verarbeitung gemäß den Vorgaben kontrolliert. 95 % des Produkts müssen „bio“ sein.

Der Jäger und sein Wild

Der Grundgedanke des Biolebensmittels wird eigentlich perfekt von Wild aus heimischen Revieren widergespiegelt. Hohes Tierwohl durch freies Leben, natürliche Nahrung, keine Tiertransporte und noch einiges mehr. Aber es wird bei genauerem Hinsehen kompliziert. Jeder weiß, Wild ist herrenlos. Somit kann niemand kontrollieren oder gar valide zertifizieren, dass alle Bestimmungen für ein Biosiegel wirklich eingehalten wurden. Äst der Rehbock nicht vielleicht doch in einem konventionellen Feld? Stammt der Kirrmais vom Biobauern? Wie verhält es sich mit Bleimunition?
Freilebendes Wild liefert also definitiv kein Biofleisch. Somit sind alle Werbesprüche wie „Wild, absolut bio“ oder „Wild – Mehr bio geht nicht“, nicht zulässig. Auch Begriffe wie „ökologisch“ sind an ein Siegel gebunden. Eine missbräuchliche Verwendung und damit Irreführung des Verbrauchers kann schnell zu Problemen führen.

Freilebendes Wild ist mehr wert, als ein Biosiegel abbilden kann.

Bio-Wild

Aber es gibt auch Wild mit einem Biosiegel. Durch Zufall fiel mir vor Jahren ein Bio-Poweriegel mit Trockenfleisch vom Rothirsch in die Hände. Dieses Hirschfleisch hatte eine Biozertifizierung, was erstmal ungewöhnlich war. Nach eingehender Recherche kam des Rätsels Lösung ans Licht: Gatterwild. Zieht man einen Zaun um das Wild, füttert es mit Bioheu und Biorüben sowie dem, was es in dem Gatter findet, wird eine Biozertifizierung möglich. Der Aufwand ist erstmal hoch, aber die Preise auch entsprechend. Für das Filet eines biozertifizierten Damhirsches werden Kilopreise ab 100 € aufgerufen. Rücken mit Knochen gibt es ab rund 60 € pro Kilo. Natürlich schielt man als Jäger nach solchen Hausnummern. Im Vergleich zum freilebenden Wild bleibt Gatterwild allerdings immer ein gefangenes Nutztier.

Breite Brust

Eine Frage, die sich stellt, ist: Müssen wir Jäger jedem Trend hinterherrennen? Wenn wir unseren Wildkunden transparent die Vorteile von Wildfleisch erklären, wird kaum einer den Kauf aufgrund eines fehlenden Biosiegels ablehnen. Die Trümpfe der Jäger sind Regionalität und Nachhaltigkeit.
Ja, man kann nicht hundertprozentig kontrollieren, was ein Reh oder Wildschwein aufnimmt. Aber im Vergleich zum Mastschwein hat jedes Wildtier immerhin eine Wahl und wird seinen Instinkten nach auf Futtersuche gehen. Der Tierwohlgedanke steht eindeutig im Vordergrund.

Wenn ihr wüsstet…

Verbraucher würden sich oft scheuen, wenn sie mehr Infos zu ihrem Biofleisch hätten. Auch wenn es sich viele wünschen: Bio-Schweine werden nicht totgestreichelt. Bio-Tiere werden oft genauso anonym unter manchmal fragwürdigen Umständen zu Schlachthöfen transportiert und dort geschlachtet, wie ihre nicht-bio Artgenossen. Der Jäger kann jedoch zu jedem erlegten Tier eine kurze Geschichte erzählen. Er „kannte“ das Wildtier. Statt fragwürdige Adjektive wie bio oder ökologisch ins Rennen zu schicken, sollte man auch sich selber in ein Verkaufsgespräch einbringen. Frei nach dem Motto: „Ich bin ihr Jäger vor Ort und jage ihren persönlichen Sonntagsbraten nur für sie“. Nachvollziehbarkeit ist vielen Verbrauchern wichtiger als irgendein Siegel.
Wie bei einem zünftigen Skat- und Doppelkopfspiel gilt es auch beim Wildverkaufsgespräch, seine Trümpfe richtig auszuspielen. Regionalität sticht auf jeden Fall.