Ein Paukenschlag für Europas Jäger. Bleischrot ist in zwei Jahren in allen Feuchtgebieten Europas verboten. Das haben die europäische Chemieagentur und die EU-Kommission so beschlossen. In Zukunft sollen Alternativen wie Stahlschrot im Lauf stecken.
Verbot durch Hintertür
Deutschlands Flintenjäger müssen davon ausgehen, in zwei Jahren bleifrei an Feuchtgebieten zu jagen. Das scheint erst einmal unproblematisch. Immerhin verbieten 14 von 16 Landesjagdgesetzen in Deutschland bereits die Jagd mit Bleischrot an Gewässern.
Der Knackpunkt ist das, was die EU künftig unter Feuchtgebiet versteht. Denn das Verbot nutzt die Definition der Ramsar-Konvention. Laut diesem alten Staatsvertrag werden Feuchtgebiete als „Feuchtwiesen, Moor- und Sumpfgebiete oder Gewässer, die natürlich oder künstlich, dauernd oder zeitweilig, stehend oder fließend, Süß-, Brack- oder Salzwasser sind, […]“ definiert. Mit dieser sehr breiten Definition ist jede Ansammlung von Wassertropfen, jede Pfütze plötzlich ein Feuchtgebiet.
Das wollten selbst einige Abgeordnete des EU-Parlaments nicht glauben und fragten bei der EU-Kommission nach, ob denn jetzt auch eine ein Quadratmeter große Regenpfütze schützenswert sei. Ja, das sei richtig, so die Antwort der EU-Kommission. Da rund um jedes Feuchtgebiet eine Pufferzone von 100 Metern gelten soll, ist die Jagd mit Flinte und Bleischrot deswegen quasi unmöglich.
Bei einer hypothetischen Pfütze von einem Quadratmeter wäre die Pufferzone dann zirka drei Hektar groß. Selbst wenn Sie kein Wasser sehen, könnten Sie dank der Pufferzone leicht gegen das Gesetz verstoßen, sobald Sie mit Bleischrot schießen. Denken Sie an Ihr Revier: Sind Sie wirklich jemals weiter als 100 Meter von einer Pfütze entfernt? Nein. Spielraum bei der Umsetzung dieser EU-Verordnung haben unsere Länder leider nicht.
EU-Recht sticht immer Landesrecht. Das bedeutet, Aufweichungen oder Anpassungen können unsere Landeslandwirtschaftsministerien nicht mehr vornehmen. Die EU hat entschieden, europäische Jäger müssen gehorchen. Zusammengefasst: Sie können weiterhin Bleischrot kaufen. Nur jagdlich einsetzen, wird so gut wie unmöglich.
Keine Weitschüsse mehr
Blei ist nicht ohne Grund seit es Schrotflinten gibt ungeschlagen. Es ist weich und deformiert leicht. Das ist gut für den Lauf. Dazu ist Blei schwer. Die spezifische Masse von Blei pro Kubikzentimeter ist 11,3 Gramm. Weicheisen hat eine spezifische Masse von 7,8 Gramm. Bleischrot verliert deswegen im Vergleich zu Stahlschrot langsamer Energie, tötet deswegen auf größere Reichweite als Stahlschrot zuverlässig.
Wenn Sie bisher auch mal auf 40 oder sogar 50 Meter eine Ente heruntergeholt haben – probieren Sie es lieber nicht mit normal geladenen Patronen mit Stahlschrot. Da es schneller an Geschwindigkeit und damit an Energie verliert, sind Krankschüsse wahrscheinlicher. Bei Jägern in bleischrotfreien Ländern wie Dänemark hat sich 30 Meter als maximale Distanz bewährt. Dazu sollte man bei Stahlschrot zwei Schrotgrößen nach oben gehen, um die gleiche Wirkung zu erreichen. Wenn Sie also bisher 2,7 Millimeter für Fasanen nutzen, sollten Sie bei Stahlschrot 3,2 Millimeter wählen. Das verringert leider die Größe der Garbe.
Das Ende für alte Flinten
Das Bleiverbot bedeutet „Hahn in Ruh’!“ für viele alte Flinten. Um das geringe spezifische Gewicht und die geringere Ener-
gie von Stalschrot auszugleichen, muss Stahlschrot schneller fliegen. Das bedeutet mehr Pulver. Das bedeutet einen höheren Gasdruck. Schrotpatronen, die von der Tötungswirkung und Reichweite mit herkömmlichen Bleischrotpatronen vergleichbar sind, haben deswegen mehr Pulver und einen Gasdruck von 1.050 Bar.
Das ist deutlich mehr als die 740 Bar Gasdruck, die im Durchschnitt bei einer Bleischrotpatrone entstehen. Solche Stahlschrotpatronen mit verstärkter Ladung dürfen deswegen nur aus Flinten mit Stahlschrotbeschuss – der Lilie auf dem Lauf – verschossen werden. Bei modernen Flinten ist dieser Beschuss Standard. Ältere Flinten haben diesen nicht.
Opas gut gepflegte Suhler Querflinte wird damit jagdlich uninteressant. Es gibt zwar Stahlschrotpatronen, die mit 740 Bar Gasdruck geladen sind und die auch aus Flinten ohne Stahlschrotbeschuss verschossen werden dürfen.
Ein Beispiel ist die Rottweil Steel Game. Im Kaliber 12/70 und einer mit einer Vorlage von 32 Gramm hat die Laborierung eine V0 von 372 m/s. Die Tötungswirkung ist aber deutlich schlechter im Vergleich zur Stahlschrotpatrone mit 1.050 Bar. Sie müssten Ihre Schussdistanz noch weiter verringern als ohnehin schon nötig. Ob das noch jagdlich sinnvoll ist?
Die einzige Alternative für alte Flinten sind Schrote aus Bismut (Wismut). Diese sind ballistisch Blei sehr ähnlich. Eine 25-Schuss-Packung Bismuth-Schrot kostet aber viel Geld. Bei Akah, einem der wenigen Importeure, 55,07€.
Aber im Ausland geht es doch auch?
Ja, Dänemark und die Niederlande schießen seit Jahren nur noch mit bleifreien Schrotpatronen. Im Vergleich zu deutscher Munition dürfen Hersteller in den beiden Ländern aber den Pulverturbo einschalten. In Deutschland regelt die Ständige Internationale Kommission für die Prüfung von Handfeuerwaffen, kurz CIP genau, welcher Gasdruck für welches Kaliber und welche Waffe zulässig ist. Dabei ist die Komission eher übervorsichtig und hat die oben genannten 750 Bar und 1050 Bar Regeln eingeführt. Deswegen können Patronen, die in Deutschland verkauft werden sollen, nicht ähnlich scharf geladen werden wie in Dänemark oder den Niederlanden.
Ein Beispiel: Die Stahlschrotpatrone „Hypersteel“ von Kent im Kaliber 12/70, 3,2 mm Schrotgröße kommt auf eine V0 von 480 m/s.
Eine vergleichbare deutsche Patrone, die Rottweil Steel Game High Velocity, Kaliber 12/70, 3,2 mm Schrotgröße, kommt auf eine V0 von 400 m/s.
Die Kent Hypersteel ist ein Sportwagen. Keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Die Rottweil – und damit alle deutschen Stahlschrotpatronen – sind LKW´s. Durch den Gesetzesgeber auf 80 km/h begrenzt, zur Sicherheit.
Munitionshersteller sollen jetzt in zwei Jahren sinnvolle Alternativen zu Bleischrot entwickeln. Das wird schwer, solange die CIP den Herstellern mit einem sprichwörtlichen Geschwindigkeitsbegrenzer blockiert.
Kaliber 12 oder nichts
Stahlschrot und Kaliber 16 und Kaliber 20 passen nicht zusammen. Bei Kaliber 20 ist es ein einfaches Platzproblem. Auf-
grund des geringeren Durchmessers ist das Hülsenvolumen bereits deutlich kleiner als bei Kaliber 12. Es passt weniger
Schrot hinein. Erhöht man jetzt die Pulverladung, um die fehlende Wirkung auszugleichen, schrumpft der Platz für das Schrot weiter.
Das Ergebnis sind mickrige Garben, die einen wahren Scharfschützen am Schaft erfordern. Dementsprechend wenig Stahlschrotpatronen gibt es in 20/70 oder 20/76 zu kaufen. Dabei ist das Kaliber in Kombination mit Bleischrot durchaus eine Alternative zur Allroundpatrone 12/76. Vorlagen mit 32 Gramm sind mit Blei kein Problem.
Ganz ähnlich ist es beim Kaliber 16/70. Es gibt kaum Flinten mit Stahlschrotbeschuss in dem Kaliber. Eine moderne 16/76 Patrone wurde nie entwickelt. Diese extra Millimeter fehlen dem Kaliber jetzt, um mehr Pulver und gleichbleibende Vorlage unter einen Hut zu bringen. Das Bleischrotverbot könnte das alteingesessene Kaliber daher endgültig in die Bedeutungslosigkeit schubsen.
Stahlschrot wird teurer …
Wenn in zwei Jahren plötzlich sieben Millionen Jäger in der EU Stahlschrot brauchen, haben wir ein Problem: Es ist nicht genug Stahlschrot für alle da. Bisher war die europaweite Nachfrage von Stahlschrot überschaubar.
Immerhin ist nur in Dänemark und den Niederlanden Bleischrot komplett verboten. Die restlichen 25 Mitgliedsstaaten erlauben ihren Jägern, Bleischrot zu nutzen. Die kurze Übergangsfrist von zwei Jahren setzt allen europäischen Herstellern die Pistole auf die Brust.
Im Februar schlugen Englands vier größte Hersteller von Schrotmunition deswegen Alarm. Europa leide schon jetzt unter akutem Stahlschrotmangel. Sobald Europas Munitionshersteller jede Tonne Stahlschrot aufkaufen, der sie habhaft werden können, treibt das die Preise von Stahl auf den Rohstoffbörsen in die Höhe. Die höheren Kosten werden die Herstel-ler mit großer Wahrscheinlichkeit an uns Jäger weitergeben.
… Und dann günstiger
Paradox: Sobald sich der Markt für Stahlschrot normalisiert hat, können sich Jäger auf günstige Munition freuen. Denn eigentlich ist Stahl als Rohmaterial preiswerter als Blei. Eine Tonne Blei kostet am London Metal Exchange um die 1.500 Euro. Eine Tonne Stahl, je nach Art, zwischen 377 und 550 Euro. In Dänemarks etabliertem Markt ist Stahlschrot beispielsweise preiswerter als Bleischrot in Deutschland – und das trotz eines deutlich höheren Preisniveaus.
Schießstand braucht Geld
Wie unüberlegt das flächendeckende Verbot von Bleischrot ist, zeigt sich auch an den Schießständen. So hat jeder größere Schießstand einen Feuerlöschteich. Das schreibt die Feuerwehr so vor. Mit seinem neuen Status als Feuchtgebiet und der großzügigen Pufferzone rundherum blockiert der Teich in zwei Jahren den normalen Schießbetrieb. Es dürfte kein Bleischrot mehr verschossen werden.
Der Wechsel auf Stahlschrot ist aber ohne Weiteres nicht möglich. Die Abprallgefahr ist deutlich höher als bei Bleischrot. Besonders auf den Ständen 6 und 7 beim Skeet lebt der Schütze dann gefährlich. Dirk Schulte-Frohlinde, Präsident des Bundesverbands Schießstätten, sieht darum kräftigen Investitionsbedarf: „Ich rechne mit Kosten von etwa einer Milliarde Euro, auf die sich unsere Schießstände einstellen müssen.“
Die bisherige Technik ist auf das Auffangen und Stoppen von Bleimunition ausgelegt. Der Rückhalteschutz vieler Anlagen müsse modernisiert werden, sonst steige die Verletzungsgefahr durch Abpraller stark. Ob das alles aus der Jagdabgabe finanzierbar ist, das bleibt mehr als zweifelhaft.