Rotwild in der Brunft – der Einfluss Erholungssuchender

nick-fewings-YkEJWnACgFU-unsplash

Foto: Unsplash/Nick Fewings

JÄGER-Autor WALTER MAHNERT weiß, was der Einfluss Erholungssuchender mit unserem Rotwild in der Brunft macht. Er diskutiert die Folgen für Bestand und Jagd.

Wir Menschen wollen zurück zur Natur. Wir wollen uns wieder als Teil der Natur fühlen und diese so nah wie möglich erfahren. Dabei gibt uns die Natur viele Möglichkeiten im Jahresverlauf. Der Frühling mit seinen ersten wärmenden Sonnenstrahlen lockt uns vor die Tür, das kühle Nass der Seen in den immer wärmer werdenden Sommer, die Pilze im Herbst und das Röhren der Hirsche.

 

Leittierart Rotwild

Viele Leute sind in der vergangenen Zeit auf unsere heimische Tierwelt und ihre Lebensräume aufmerksam geworden. Das Problem der Lebensraumzerschneidung durch unseren Anspruch an uneingeschränkte Mobilität, welche als Auswirkung Teil der genetischen Verarmung unserer größten einheimischen Landsäugetierart im Norden ist, rückt in das Bewusstsein der Bevölkerung. Das Rotwild stellt seit jeher eine Leittierart dar. Es wird und wurde als Anzeiger möglicher Wildwechsel und Bewegungslinien für Fernwechsel herangezogen. Rotwild hat ein ausgeprägtes Raumnutzungs- und Wanderverhalten.

Als Wildart der halboffenen Waldlandschaften ist es in Schleswig-Holstein auf die wenigen Waldinseln und Knicks als Lebensraum und Wanderkorridore angewiesen. Ungestörte Naturschutzgebiete, Naturparks und Wildruhezonen sind essenziell für den Erhalt und eine gesunde Entwicklung der Wildart. Der Hochwildring Segeberger Heide hat sich vor über 70 Jahren zusammengeschlossen, mit dem Ziel, die Hochwildarten zu hegen und einen angepassten Wildbestand zu schaffen und zu erhalten. In den vergangenen 70 Jahren hat sich die landwirtschaftliche Nutzung auf den Böden der Vorgeest in Schleswig-Holstein durch moderne Land- und Forstwirtschaft erheblich verändert. Die Moore und offenen Heideflächen sind den forstlichen und landwirtschaftlichen Nutzflächen gewichen. Kleine Naturschutzgebiete sind Perlen der Natur und wesentlich den umliegenden Einflussfaktoren ausgesetzt.

 

Rotwild auf der Suche nach Ruhe

Für das Rotwild, welches sich den örtlichen Gegebenheiten anzupassen hatte, hieß es weniger Bewegung, Dämmerungs- und Nachtaktivität, mehr Störung durch Erholungssuchende und Äsung mit höherem Energiegehalt. Das Rotwild lernte, seine Einstandsgebiete so zu wählen, dass es seine Nachkommen in möglichst ungestörter Umgebung großziehen kann. Diese Wildart ist dazu in der Lage, sich innerhalb kürzester Zeit auf äußere Einflüsse einzustellen, im positiven wie auch im negativen Sinne. Bei regelmäßiger Störung, ob durch Jagd oder Bewegung, ist es anfangs vorsichtig beim Austreten auf die Äsungsflächen. Nach einiger Zeit verschiebt sich der Rhythmus der Nahrungsaufnahme in die Dämmerungs- und Nachtstunden. Der Anschein entsteht, dass das Wild das Revier verlassen hat. Bei anhaltender Beunruhigung wird das Wild tatsächlich den Einstand als sicheren Ort aufgeben und abwandern.

 

Die Damen bestimmen die Richtung

Genauso geht es in die andere Richtung. Hat sich ein kleiner Familienverband dazu entschlossen, in einem Gebiet seinen Nachwuchs zu setzen und es als Kernzone seines jahreszeitlichen Bedarfs ausgewählt, kann sich innerhalb eines Jahrzehnts ein Rudel etablieren. Aus den Studien des Instituts für Zoo- und Wildtierkunde der Universität Göttingen ließ sich herleiten, dass Kahlwild einen geringeren Anspruch an die Größe der Kernzone in Hektar stellt als das männliche Rotwild. Die Ansprüche beginnen beim Kahlwildrudel bei circa 75 Hektar und gehen bei den Hirschen in mehrere tausend Hektar große Streifgebiete. Daraus ergibt sich, dass das weibliche Wild eher als standorttreu zu benennen ist und Hirsche als Wanderer.

 

Tipps zum Verweilen

Der Brunftplatz wird demnach vom Kahlwildrudel bestimmt. Um den Ansprüchen eines Brunftplatzes gerecht zu werden, haben wir unter anderem folgende Faktoren bei der Reviergestaltung herangezogen:
Das Einstandsgebiet des Hauptrudels muss in der Nähe oder über sehr gute Bewegungskorridore erreichbar sein. Diese Wechsel müssen so weit als möglich störungsfrei gehalten werden. Als Störfaktoren gelten die unvorsichtige Bejagung (Wild bringt die Gefahr mit Menschen in Verbindung), das längere Verweilen sowie die nächtliche Anwesenheit von Erholungssuchenden auf den Wechseln. Einen erheblichen Einfluss haben unsere vierbeinigen Gefährten, welche ihren Kot und Urin auf den Korridoren hinterlassen.

Innen Äsung, nach außen Deckung. Der Platz muss dem Wild das Gefühl von Sicherheit vermitteln. Entweder ist die Entfernung zu Wegen, Straßen und Zivilisation jenseits der Einsatzschussweite von Jagdgewehren, oder der Platz ist eingefasst als Insel im Wald.

Das Austreten auf die Fläche muss so erfolgen können, dass zurückbleibendes Wild im Kontakt stehen kann. Weniger Hecken am Waldrand, dafür einen lichteren Bewuchs mit Bäumen dritter Ordnung. Wenn der Waldrand dazu noch so gestaltet werden kann, dass die Hauptbaumarten als Mastbäume ihre Früchte als natürliche Äsung im Frühherbst fallen lassen, wertet dies den Brunftplatz ungemein auf.

 

Präparation des Brunftplatzes

Die Äsungsfläche wird bei uns in der letzten Juniwoche, spätestens jedoch in der ersten Juliwoche, gemulcht oder gemäht. So steht während der Hauptbrunft Mitte September genügend natürliche Äsung für die intermediäre Ernährungsweise des Rotwildes zur Verfügung. Es wird unter keinen Umständen mit Äpfeln oder stärkehaltigen Kartoffeln bzw. Getreide als Kirrung zugefüttert. Diese konzentrierten Fütterungsstellen sind kontraproduktiv bei der natürlichen sozialen Interaktion innerhalb der Kahlwildrudel. Das verzögerte Austreten des Kahlwildes und längere Verweilen in der angrenzenden Deckung wird durch unverhältnismäßiges Zufüttern – pardon, „Kirren“ – gefördert.

Bei den Beihirschen sorgt es für einen erhöhten Druck auf das Brunftgeschehen und die unnötige zusätzliche Belastung des Platzhirsches. Die Hirsche müssen genügend Ausweichmöglichkeiten haben, das bedeutet, dass der Platz idealerweise zaunfrei zu halten ist. In den angrenzenden Gebieten müssen Möglichkeiten für Ruhe und Suhlen zur Körperpflege vorhanden sein. Insgesamt wird in der sogenannten jagdlichen Kernzone, welche in unserem Revier circa 25 Hektar zusammenhängendes Gebiet umfasst, absolute Jagdruhe und striktes Betretungsverbot gehalten. Zwei- bis dreimal im Jahr fährt eine landwirtschaftliche Maschine in das Areal, um die nötigsten Arbeiten durchzuführen. Die Standorte der jagdlichen Einrichtungen um den Brunftplatz sind so gewählt und positioniert, dass zu jeder Windrichtung passend angegangen werden kann.

 

Bejagungsstrategie des Rotwildes im Standrevier

Im Hochwildrevier mit Rotwild als Standwild, Damwild als Wechselwild und Schwarzwild, welches sporadisch auftritt, haben wir uns für die primäre Jagd auf Rotwild entschieden. Dies hat zur Folge, dass ein absolutes Nachtjagdverbot im Kern und auf den Korridoren für Schwarzwild gilt. Dieses wird ausschließlich an den Randzonen zu den angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen und auf den Freiflächen, welche nicht vom Rotwild genutzt werden, bejagt. Die Bejagung des Rotwildes muss sehr früh im August mit der Absicht auf Kalb-Alttier-Strecke beginnen. Ziel sollte es sein, mit zwei bis drei gemeinschaftlichen Intervallansitzen einen Teil des geforderten Abschussplans zu erfüllen.

Im Spätherbst und Anfang Winter wird jeweils eine revierübergreifende Drückjagd durchgeführt. Spätestens zur Wintersonnenwende soll die Bejagung eingestellt werden und dem Wild ausreichend Ruhe gewährleistet werden. In Zeiten der Reduzierung kann und muss in milden Wintern die Jagdzeit bis in den Januar verlängert werden

 

Die Brunftzeit

Die Hirsche beginnen ihre Wanderung zu den Brunftplätzen in der zweiten Augusthälfte. Anfang September haben die Platzhirsche ihren Ort bezogen und der größte Teil der Alttiere zeigt sich bereit zum Beschlagen. Die Temperaturen fallen in den kühlen Nächten so weit ab, dass sich Bodennebel ausbreitet und die Pheromone der brünstigen Stücke an den Wasserpartikeln haften und weithin übertragen werden. Diese werden bei den Hirschen über das Jacobsonsche Organ aufgenommen und der Testosteronspiegel steigt weiter.

Während der Hauptbrunft, welche meist von Anfang September bis Anfang Oktober dauert, verzichten die Platzhirsche sowie ihre Rivalen auf Schlaf und Äsung. Der angesetzte Feist wird aufgezehrt und am Ende der Brunft kann es vorkommen, dass Hirsche so stark geschwächt sind, dass sie verludern.

Durch den hohen Bestand an gleichaltrigen Beihirschen, welche während der Brunft im Randbereich den Platzhirsch durch ihre bloße Anwesenheit herausfordern, kommt es häufig zu Platzhirschwechseln. Je mehr Hirsche, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit der Kämpfe. Und dadurch auch die Möglichkeit der tödlichen Verletzungen der Platzhirsche bei der Brunft. Diese Fälle der sogenannten „Hirschnot“ nehmen mit zunehmendem Abschuss auf Kahlwild und einem sich verhältnismäßig vergrößernden Hirschbestand weiter zu. Ideal für die Reviergestaltung ist daher die Auswahl eines ruhigen Brunftplatzes, welcher einen guten Einstand und eine ungestörte Nutzung gewährleistet.