Der Verrat des Vogels – Eichelhäher & Co.

Vogelexperte Friedrich Karl v. Eggeling schätzt den Eichelhäher. Der Vogel hat den Wald im Griff: Weder Wild noch Jäger kann sich in der Natur bewegen, ohne dass die Vögel es mitbekommen. Das kann zu Freud oder Leid des Jägers führen.

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Der Eichelhäher gibt im Wald den Ton an. (Foto: Pixabay)

Wachsame Augen des Vogels

Der Schuss bricht, das Wild springt ab. Nach dem Schuss geht das Gezeter im Wald los. Kein anderer Vogel in Wald und Feld hat so viele Namen und sogar Berufsbezeichnungen wie der Eichelhäher: Nusshäher, Holzhäher, Nusshackl, Markwart oder Markolf. Als Waldpolizisten kennen wir ihn und als General-Forstmeister – und er ist eigentlich doch nur ein Rabenvogel und war wie fast alle Rabenvögel als Raubzeug ein jagdbares Tier und wurde das ganze Jahr über verfolgt. Er nimmt nun mal hin und wieder Nester aus und dazu verrät er auch noch den Jäger mit seinem Warngeschrei. Das alles ist freilich wahr, aber man muss auch die lieben Seiten unseres Vogels in Betracht ziehen. Die überwiegen die Bösen bei weitem, so denke ich jedenfalls, und werde mit diesem Denken wohl auch ein paar Freunde haben.

Die Vorzüge des Eichelhähers

Zur guten Sache also: Der Vogel hat fast so viele gute Seiten wie er Namen hat. Er verrät dem Jäger, dass gleich der alte Keiler aus der Dickung kommt. Im Wonnemonat Mai überkommt ihn die Liebe, und er singt eine Vielzahl von Liebesliedern. Und wenn die Menschen nicht so faul wären, dann könnten fast immer aus den Hähereichen richtige Bäume werden und nicht breitkronige Schwächlinge, denen das Licht zum Atmen fehlt. Auch dafür verdiente der Häher das Bundesverdienstkreuz am Bande und nicht nur die ganzjährige Schonzeit.

Exkurs: Häherbrust

Kurz noch was, es ist zwar veraltet, aber es war halt doch so schön: Eine Nudelsuppe mit würfelig geschnittener Häherbrust war, ja eben: sie war! – eine echte Delikatesse, unvergleichlich der lederigen Reiherbrust, wie sie zu Unrecht in manchen Kochbüchern gelobt wird.

Ein Keiler mit Vorankündigung

Jetzt ist es aber genug der Theorie, „grün allein ist des Lebens goldner Baum“ singt schon Goethe im Faust. Da war also jener alte Keiler, in dessen Fährte meine nicht gerade kleine Hand passte. Er lebte im Bruch, das noch zu Urgroßvaters Zeiten ein Teich war. Er ist durchzogen von einem schmalen Damm, auf dem mein Hochsitz steht, von dem aus man nur den Damm entlang sehen kann. Der Urian hatte mich mehrfach an der Nase herumgeführt, war völlig lautlos auf einem der Rotwildwechsel gezogen, um dann an unterschiedlichen Stellen mit zwei Riesenfluchten den Damm zu überqueren. Selbst mit halbstündigem Voranschlag hatte ich keine echte Chance, der Wechsel des Bassen blieb immer an den unvorhersehbarsten Stellen.

Mit Ankündigung des Vogels

Das blieb so bis Anfang Mai, „als alle Knospen sprangen, da ist sogar dem Eichelhäher das Herze aufgegangen“. Wie dem auch sein mag, an einem frühen Maimorgen sang der Häher sein seltsames Liebeslied um die 60 Schritt vor meinem Ansitz. Ich freute mich der Abwechslung, hielt aber die Büchsflinte im Halbanschlag den Damm entlang, als das Liebeslied des Hähers urplötzlich in lautes Gezeter überging. Da richtete ich meine Waffe auf den dem Gekreische nächsten Rotwildwechsel und hatte dies kaum vollbracht, als schon Kopf und Rumpf der Sau erschienen, von mir erfasst wurden und klaren Kugelschlag brachten. Beim letzten Sprung über dem linken Graben überschlug sich der Keiler und war im Sprung verendet. Die Waffen sind 23 Zentimeter lang und 30 Millimeter breit, und das Bahngewicht der Sau betrug 135 Kilogramm. Sage mir niemals wieder jemand Schlechtes über den Häher!

Ein Geschenk des Geschreis

Aber dann war da noch das seltsame Erlebnis mit dem Bock und dem Häher in der „Schnepfentränk“ im Forstamt Nürnberg. Die Schnepfentränk ist ein rund 40 Hektar großer Forstort und ist mit tiefen Gräben aus der Eiszeit durchzogen. An dem Rande eines solchen Grabens saß ich nach der Blattzeit im August 1985 an. Einen Büchsenschuss weit hinter mir in einer Überhälterkiefer war ein Bussardhorst, auf dessen Rand zwei Bussardspätlinge, also Ästlinge, die Morgensonne genießen wollten. Das konnten sie aber nicht so recht, weil ein ganzer Flug Häher ihnen mit ihrem Geschimpfe die Lust vertrieb.

Vogel im Angriff

Das Gekakele der Häher wurde urplötzlich durch den rasanten Anflug eines Habichtweibchens unterbrochen, das sich im Nu einen der Bussardästlinge abholte und mit der Beute etwas schwerfällig davonflog. Die Häher waren so verschreckt worden, dass sie allesamt in die sichere Deckung der Jungbuchen hinabgesaust waren und dort für lange Zeit stillschweigend verharrten. Vorsicht, so sagt das Sprichwort, ist die Mutter der Porzellankiste! Ich vertrieb mir eine Weile die Zeit mit der Beobachtung des verbliebenen Bussardästlings, der sich ganz ins Innere des Horstes zurückgezogen hatte, aber unentwegt mit Drehen des Kopfs die so feindliche Umgebung absuchte. Plötzlich erhob sich ein fürchterliches Geschrei der Häher vom Boden aus am Rande der tiefen Wasserrille, an der ich saß.

Angekündigter Aktionismus

Vier, fünf Häher flogen wie wild umher, bald hoch hinauf, bald wieder in die Tiefe der Buchen. Ich dachte an Sau oder Fuchs und machte mich fertig, nahm also den Zielstock in die linke Hand und strich die Waffe nach vorn gerichtet an ihm an. Lange tat sich nichts, nur das wilde Gezeter der Häher verschob sich langsam auf mich zu. Also drehte ich mich nach links. Und plötzlich war ganz rechts im Okular ein roter Fleck. Er bewegte sich zum Rande des Grabens und wurde zum Träger eines Rehs und sein Haupt zeigte ihn als Bock, zum Niegesehenen, zum uralten Bock mit nur einer langen Spießerstange, die andere über der Rose abgebrochen. Im Schuss rollte er den Hang hinab. Die Häher verstummten, im Talgrund vor mir raschelte ein wenig das Laub, wo sich der Bock im Verenden streckte. Es ist das älteste Reh, das ich jemals schoss. Die eine Stange ist nur zur Hälfte gefegt, von den Molaren sind nur einige wenige Stümpfe vorhanden. Die Prämolaren sind ausgefallen und von den Schneidezähnen fehlt die Hälfte. Sein seltsames Gehörn hängt hinter meinem Schreibtische zusammen mit vielen anderen, und an die lange Stange habe ich den Unterkiefer gehängt.

Das verräterische Gezeter des Vogels

Einmal nur hat mich der Häher verraten. Das war zum guten Teil meine eigene Schuld. Ich saß also auf der offenen Kanzel, die nach einem Windwurf ziemlich frei stand. Vor mir war die niedrige Kiefernkultur mit reichlich Adlerfarn und links das Altholz mit vielem Fichtenunterstand, in den man nur ein paar Meter hineinsehen konnte. Es war warm an diesem Abend. Ich hatte meinen Hut beiseite gelegt, dass meine sehr weißen Haare wahrscheinlich glänzten wie ein Kronleuchter. Dem Rotwild mit dem jämmerlichen Schmalspießer machte das nichts aus, aber der Häher erkannte mich sofort – alle Krähenvögel können das. Ein einziger gellender Häherschrei genügte dem Alttier. Auf der Hinterhand machte es kehrt und verschwand samt Kalb und Spießer in den Fichten. Eine Weile lang habe ich mich geärgert, aber den Spießer schoss ich die Woche drauf – mit dem Hut auf dem Kopf, wohlgemerkt! Und dem Häher hatte ich lange schon verziehen, er tat nur seine Pflicht.

 

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