So funktioniert der Markt für Wildbret

Wo landet mein Frischling, wenn der Wildhändler mit ihm vom Hof braust? Und wer hat alles die Finger im Spiel, bis er als Wildbret auf dem Teller landet?

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© dj johnson/Unsplash

Es ist unser Markt und er existiert nur, weil wir ihn beliefern. Und doch wissen wir fast nichts über seine Mechanik: der deutsche Wildbretmarkt. Warum essen Deutsche nur wenig Wildbret? Was passiert tatsächlich mit meinem Frischling, sobald der Wildhändler mit ihm vom Hof braust?

Der Ökonom und langjährige Berater bei einem der größten Wildzerlegebetriebe Nordostdeutschlands, David Plaz, beleuchtet für den JÄGER in einer dreiteiligen Artikelserie den deutschen Wildbretmarkt.

Dabei erklärt er allerhand Kuriositäten. Im ersten Teil  geht es um Wildzerlegebetriebe. Und er geht der Frage nach, ob der deutsche Wildmarkt in seiner heutigen Form das Ansehen der Jagd unter Nichtjägern fördert.

Warum Wildbret das beste Fleisch ist

Wo landet mein Frischling, wenn der Wildhändler mit ihm vom Hof braust? Und wer hat alles die Finger im Spiel, bis er als Wildbret auf dem Teller landet?

© Jay Wennington/Unsplash. So präsentiert sich Wild oft dem Verbraucher: Als hochwertiges Gastronomieprodukt. Noch öfter fristet Wild ein Dasein als Kantinenessen. Zwei Extreme, die den Markt bestimmen. 

Starten wir mit zwei waidmännischen Binsenweisheiten:

  1. Wildbret ist besser als konventionelles Fleisch.
  2. Wildbret wäre ein erstklassiger Botschafter für nachhaltige Lebensmittelproduktion und für die älteste und schonendste Fleischgewinnung überhaupt: die Jagd.

Für die allermeisten unter den Jägern ist nachweislich nach dem Schuss Schluss. Aufbrechen, Kühlzelle ansteuern, Wildmarke und -schein ausfüllen, aufhängen und dem Wildhändler Bescheid geben, der einmal die Woche abholen kommt. Die Zahlen lügen nicht: Zwischen 65 und 73 Prozent der anfallenden Jahresjagdstrecke in Deutschland werden professionell verarbeitet. Das heißt nicht zu Hause in Keller, Garage oder Küche, sondern in Metzgereien, Restaurants und vor allem großen Wildzerlegebetrieben.

Nichtjagende Verbraucher

Zäumen wir von hinten auf und beginnen direkt beim nichtjagenden Endverbraucher. Jener ist unkundig, zunehmend trendgeplagt und landentrückt. Mit Wild und Jagd hat Maja Mustermann wenig am Hut. Die Zahlen bestätigen die Vermutung: Rechnet man den Eigenkonsum der Jäger heraus, wird nur ein kleiner Bruchteil des anfallenden Wildbrets der Jahresjagdstrecke in deutschen Privathaushalten konsumiert. Egal, wie er es konsumiert, der deutsche Otto-Normalverbraucher isst etwa 250 Gramm heimisches Wildbret pro Kopf und Jahr. Von 365 x 3 = 1.095 Mahlzeiten zwischen Hartung und Christnacht sind es eine, vielleicht zwei.

So wenig Wild isst Deutschland

Wo landet mein Frischling, wenn der Wildhändler mit ihm vom Hof braust? Und wer hat alles die Finger im Spiel, bis er als Wildbret auf dem Teller landet?

© DJV. 

27.000 Tonnen minus 26 Prozent Jägerverbrauch geteilt durch 80 Millionen Deutsche ergibt etwa 250 Gramm pro Kopf und Jahr. Das steht im krassen Kontrast zum Essverhalten bei McDonalds. Durchschnittlich 39 Euro gibt der Bundesbürger beim gelben Riesen für Verzehr pro Jahr aus. Das entspricht etwa vier Mahlzeiten. Das muss man in Relation setzen: Nachweislich zieht es der statistische Endverbraucher vor, dreimal häufiger Fastfood in sich zu stopfen, als nachhaltiges Fleisch aus Feld und Flur zu genießen. Die Gründe liegen auf der Hand: Erstens gibt es Wild praktisch nie im Supermarkt zu kaufen, zweitens ist Wild, je weiter weg vom Jäger man es kauft, preisintensiv. Klar ist: Je näher der Kunde beim Jäger kauft, desto eher macht er ein Schnäppchen. Wo aber isst der Deutsche seine eine wilde Mahlzeit im Jahr?

Etwa 35 Prozent der Jahresjagdstrecke wird bei Jägern, deren Familienmitgliedern oder Freunden derselben konsumiert. Dieser Teil der Verbraucherschaft dürfte winzig, aber hochfrequent-wildessend sein. Sie sind bereits überzeugt und jagdaffin. Mehr als 40 Prozent des Wildaufkommens verzehren  Verbraucher in der Systemgastronomie bzw. in der Gemeinschaftsverpflegung: Kantinen, Mensen, Altersheim-Speisesäle. Dort kommt, oh Wunder, meist ein dünngestreckter Wildschweingulasch zum Nikolausessen auf den Teller. Tagesbudgets für Nahrung von unter fünf Euro sei Dank (siehe Grafik für ein Budgetbeispiel). Oder in der Betriebskantine, wo es ebenfalls im Herbst im besten Falle eine „Wilde Woche“ gibt.

So rechnet Ihre Kantine

Wo landet mein Frischling, wenn der Wildhändler mit ihm vom Hof braust? Und wer hat alles die Finger im Spiel, bis er als Wildbret auf dem Teller landet?

©vitesca/pixabay. Große Kantinen sind wichtige Konsumenten auf dem Wildbret-Markt. Leider verwandeln sie das hochwertige Fleisch oft in dünnflüssiges Gulasch, dass unserem Wild nicht gerecht wird. 

Der Rest verteilt sich auf Supermärkte (weniger als fünf Prozent), örtliche Metzgereien sowie inhabergeführte, respektive qualitätsorientierte Gastronomie. Wir halten fest: Überwiegend ist Wild in Deutschland ein Gastronomieprodukt, das vom Gast ein bis maximal zweimal im Jahr konsumiert wird. Und zwar in einer Form, die ihm keine Auswahl einer Speisekarte erlaubt, sondern die es ihm – Kantinenplan – vorsetzt. Gemeinschaftsverpflegungs-Betriebe werden in der Regel von großen Foodservice-Anbietern wie Chefs Culinar, Transgourmet oder Rungis Express beliefert. Große Vollsortimentler, die ihre Kunden kennen, die Menüpläne vorschlagen und ganze Konzepte erarbeiten. Alle Vorgenannten führen große Wildbretsortimente, meist ganzjährig tiefgekühlt, saisonal ergänzend frisch. Beliefert werden diese stets von mindestens mittelständischen Wildzerlegebetrieben mit einem Output von 250 und mehr Tonnen Wildbret pro Jahr.

Wir sehen: Überwiegend kommt Wildbret über die Kette Kühlzelle, Wildhändler, Wildzerlegebetrieb, Foodservice-Anbieter, Gemeinschaftsverpflegung zum Kunden. Fünf Stationen zwischen Wald und Wanst! Ohne Wildzerlegebetriebe läuft nichts im deutschen Wildbretmarkt. Wildzerlegebetriebe sind einzigartig, was ihre Konzeption betrifft, und sie kämpfen gegen zahlreiche Hürden, die das ohnehin bedrohte konventionelle Metzgerhandwerk nicht kennt.

Probleme der Wirtschaftlichkeit

Wo landet mein Frischling, wenn der Wildhändler mit ihm vom Hof braust? Und wer hat alles die Finger im Spiel, bis er als Wildbret auf dem Teller landet?

© Pauline v. Hardenberg. Ein semi-professioneller Jäger und Wildbretverarbeiter. So locker wie er kann kein Wildzerleger sein Wildbret veredeln. Strenge Hygienevorschriften erschweren seine Arbeit. 

Das EU-Fleischhygienepaket fordert, dass Wildbret zeitlich-räumlich von anderen Tierarten getrennt verarbeitet und zerlegt wird. Das bedingt entweder komplett separate räumliche Strukturen, also einen Betrieb nur für Wildverarbeitung, oder Mehrschicht- und Parallelbetrieb. Praktisch alle Wildzerleger in Deutschland wählen Variante eins und verzichten da-
bei auf einigen Komfort des konventionellen Metzgerhandwerks. Eine Auswahl:

  • Zwischen Februar und April kann man den Laden eigentlich dichtmachen. Die Jagd ruht zumeist, die Fixkosten (Strom, Gas, Wasser, Kammerjäger, Personalkosten, Abschreibung generell) laufen weiter. Resultat: Verlusthäufung bis zur Wildsaison. Man benötigt also tiefe Taschen.
  • Zwischen Mai und August kommt Reh, Reh, Reh. Schmalrehe von sieben Kilogramm, Rehböcke bis zu 25 Kilogramm. Die konventionelle Metzgerei nebenan schlachtet und verarbeitet derweil Hybridschweine mit einem recht konstanten Schlachtgewicht von 91,5 Kilogramm.
  • Ab September wollen die Kunden Wildschweine. Die allerdings denken gar nicht daran, aus den Maismeeren des Nordens aufzutauchen und sich erlegen zu lassen. Die Kundschaft vertröstet der Markt auf den Spätherbst.
  • Ab Oktober Drückjagden. Nachtschichten, Überstunden, Wochenendarbeit. Der Betrieb platzt aus allen Nähten, die eigene Lkw-Flotte wird zur Auslagerung der Kühlkapazität über Nacht an den Strom gekoppelt. Die Nerven liegen blank, denn Deutschland hat: Wildsaison. Etwa 70 Prozent des Umsatzes und der Menge werden in den vier Monaten vor Weihnachten erwirtschaftet.
  • Vor Weihnachten will die Kundschaft Rehrücken. Der wird aber praktisch nicht mehr bejagt. Der Kluge legt sich schon im Mai ein Tiefkühllager an. Der Kunde will es lieber frisch und drückt den Preis.

Große sind Effizienter

© Boris Slogar/Unsplash. Ohne Fleisch auf dem Teller ist für viele Deutsche keine Mahlzeit komplett. 

Wir lernen daraus: Der Wildzerlegebetrieb ist zu Effizienz und Größe gezwungen, um seine Fixkosten optimal auf jedes durch das Gebäude bewegte und zerwirkte Stück Wild
umlegen zu können. Und doch funktioniert das Geschäft wie ein Jumbo-Jet mit 50 Prozent jährlicher Durchschnittsauslastung zwischen Frankfurt und New York. Im Herbst könnte man zwei Flieger füllen, im Frühjahr reicht die Cessna.

Der Druck zur Größe bedingt Konzentration an wenigen Orten. 7.700 Tonnen Wildbret werden von einer einzigen Unternehmensgruppe verarbeitet: MaierWild. Diese Angaben basieren auf Zeitungsberichten und Unternehmensangaben selbst, man spricht von 2.500 Rehen täglich. Da das Wild nur an zwei Standorten verarbeitet wird, kann von einer „lokalen“ Produktion von Wild keine Rede sein. Ganz im Gegenteil: Aus dem ganzen Bundes-, ja EU-Gebiet wird Wild an die zwei Standorte des Unternehmens gekarrt. Den Wildhändlern sei Dank. Der Branchenprimus empfiehlt sich. Teil von MaierWild ist auch die in Bremervörde beheimatete Brödersen und Köver (2.200 Tonnen/Jahr) und die Getti-Wilba, deren Output nicht öffentlich einsehbar ist.

Das muss nicht unnachhaltig sein: Ein gut ausgelasteter Großbetrieb ist oft CO2- und ressourcenschonender als die handwerkliche Dorfmetzgerei. Und darum kann der Große preiswerter produzieren als der Kleine. Strengere EU-Vorschriften kann er durch seine Größe so oder so besser erfüllen, da fallen die Distanzkosten der Wildhändler nicht mehr ins Gewicht.

Es ist kein Wunder, dass es in anderen europäischen Ländern ähnlich ist: Wildbret ist europaweit standardisiert. Gewichts- und Schnittvorgaben für Keule, Rücken, Filet, Nacken, Schulter und Gulasch sind international praktisch identisch (Gulasch beispielsweise Würfelgröße 30 x 30 Millimeter). Das unterscheidet Wildbret krass von Rind-, Lamm- und Schweinefleisch, bei denen jedes Land, ja selbst die deutschsprachigen Länder untereinander, abweichende Schnittmuster hat.

Dem Verbraucher Wurscht

Wo landet mein Frischling, wenn der Wildhändler mit ihm vom Hof braust? Und wer hat alles die Finger im Spiel, bis er als Wildbret auf dem Teller landet?

© Derek Malou/ Unsplash. Was auch immer dieser Jäger im Visier hat: Sobald es erlegt ist, beginnt die lange Reise auf Deutschlands Teller. 

So konkurriert der deutsche Wildzerleger, dem europäischen Binnenmarkt sei Dank, mit seinen polnischen, ungarischen, spanischen und tschechischen Kollegen, die oft noch ein bisschen preiswerter arbeiten. Dem Verbraucher in der Kantine ist es wurscht, woher sein Wild kommt, allenfalls der Landgasthof, geführt in fünfter Generation, zeichnet seine geschmorte Hirschhaxe als regional, bestenfalls selbstgejagt aus. Allerdings schaffen es deutsche Verarbeiter durchaus, auch zu deutschen Kosten hergestelltes Wildbret ins Ausland zu exportieren: MaierWild beliefert nach eigenen Angaben zehn Exportmärkte.

Doch fassen wir zusammen: Wildbret kommt auf höchst unterschiedliche Weise zum Verbraucher:

  • direkt über Jäger (absolute Ausnahme)
  • durch die örtliche Gastronomie oder die lokale Metzgerei (immer noch Ausnahme)
  • im Mehrheitsfall über die Kantine oder das Altersheim-Restaurant (Regel)

Fördert also der aktuelle Zustand des Wildbretmarkts das Image der Jagd, ist die Gemeinschaftsverpflegung ein guter Botschaftsträger? Die Antwort lautet klar: Nein! Ein Beispiel ist die von der Schweizer Coop-Gruppe für den europäischen Foodservice-Dienstleister Transgourmet entwickelte Marke „Origine/Ursprung“. Diese bringt nachhaltig wirtschaftende Unternehmen und deren zahllose, tolle Produkte in die Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung. Auf Facebook, einem guten Gradmesser für die Popularität von Trends, folgen dem Ursprung-Portal von Transgourmet weniger als 2.000 Leute. Ist das ein durchschlagender Erfolg?

Stete Berührungsängste

Wenn das Image der Jagd gehoben werden soll, muss es entweder der Gastronomie oder uns Jägern gelingen, die Vorzüge nachhaltiger Wildbretgewinnung in Zeiten irrlichternder Klimadiskussionen vom Revier auf den Rost zu bringen. Der moderne Mensch ist mit der Zubereitung eines kurzgebratenen Rehschnitzels aus dem Schlegel oder gar dem Hirschrücken völlig überfordert. Auch wenn sich eine oft trendaffine Elite in den Städten zu nachhaltiger Ernährung bekennt: Wild wird noch lange ein Produkt sein, dass das deutsche Zukunftsinstitut „curated food“ nennt: also von Profis gereichtes oder zumindest erklärtes Essen. Der Wildmarkt in seiner aktuellen Form festigt diese Strukturen. Nicht nur zum Nutzen der Jagd.

Es wird Zeit, dass wir Jäger unsere Rolle als Produzenten eines der feinsten Lebensmittel ernster nehmen und zu Botschaftern einer neuen Ernährungskultur werden. In Teil 2 und Teil 3 der Artikelserie lesen Sie, wie uns das gelingen könnte.

Noch nicht genug gehabt? Jetzt den JÄGER-Talk zum Thema anschauen!

Im neuen JÄGER-Prime Format diskutiert Chefredakteur Lucas v. Bothmer mit Experten über unser Wildbret und seine Vermarktung. Neben David Plaz sind die Wildbloggerin Isabel Bulling und  Johann Jencquel, Inhaber des Hamburger Wildrestaurants „Edelsatt“ mit dabei.

>>JÄGER-Talk: Wildbret<<