Weibliches Rehwild richtig bejagen

deer with 2 kittens on the meadow

Spätestens bis zum Wintereinbruch sollte der Abschuss weiblicher Rehe durch sein. (Foto: Getty Images)

Nach der Blattzeit und der Bejagung von Böcken liegt der Fokus oft auf den bevorstehenden Gesellschaftsjagden. Die Bejagung des weiblichen Rehwildes fällt oft hinten runter. Doch ohne System hat man keinen Erfolg.

Ricken, Schmalrehe, Rickenkitze und natürlich Bockkitze sind ab 1. September überall in Deutschland frei. Da Grenzen in der heutigen Geschlechterwelt sowieso fließend zu sein scheinen, zählen wir der Einfachheit halber die Bockkitze mit zum weiblichen Rehwild, quasi zum „Reh-Kahlwild“. Denn wer eine Ricke auf die Strecke legen will, muss erst das Kitz erlegen. Wie so häufig gibt es auch bei der Bejagung des weiblichen Rehwildes eine breite Palette mit jagdlichen Extremen an beiden Enden. Entweder es wird kein oder viel zu wenig Weibliches erlegt oder es wird im Zuge des Waldschutzes alles umgelegt, was zur Art Capreolus capreolus gehört.

Wie so häufig ist der Mittelweg wohl eher richtig. Dieser ist allerdings arbeitsintensiv.

Ladys first?

Auch wenn in manchen politisch grün gefärbten Jagdgesetzentwürfen oft der Vorschlaghammer  mit Schwung an die Grundfeste der Waidgerechtigkeit gelegt wird, so sollte die Wichtigkeit einer Ricke für ihre Kitze nie zur Diskussion stehen. Formulierungen wie im neuen rheinland-pfälzischen Gesetzesentwurf, die ab November den Muttertierschutz aushebeln, sind leider nur die Spitze eines Eisbergs aus wildbiologischer Unkenntnis oder dogmatischer Baumliebe. Nicht nur für die Versorgung ihrer Kitze, sondern auch bei der Führung hat die Ricke eine tragende Rolle. Auch die Wichtigkeit für den Gesamtbestand wird oft unterschätzt. Was auch viele Jäger bei aller Bockhege und Diskussion über gesunde Bestände immer übersehen: Die Ricke steuert nicht nur 50 Prozent der Gene zur neuen Rehgeneration bei, sie betreibt auch 100 Prozent der Aufzucht.

Die Milch ist die erste Nahrung der Kitze und unterstützt noch lange deren Entwicklung. Ob aus einem Bockkitz einmal ein Spitzenbock werden kann, entscheidet so gesehen maßgeblich die Ricke.

Die Ricke steuert nicht nur 50 Prozent der Gene zur neuen Rehgeneration bei, sie betreibt auch 100 Prozent der Aufzucht.

Rehjagd mit System

Natürlich kann man nach dem Motto rausgehen: Ich brauche ein Reh. Ein schneller Ansitz am Wildacker und erlegen, was kommt. Den Abschussplan macht dann notfalls der Stift passend.

Ein häufiger Fehler, den viele begehen, ist es, die Rehe immer an der gleichen Stelle zu erlegen. Ja, wenn man an einem Platz Erfolg hat und dieser sich immer wiederholen lässt, neigt man zur Bequemlichkeit. Allerdings „übersieht“ man bei den oft nur wenige Hektar großen Rehrevieren doch einiges an Rehwild. Es gibt Ecken, in denen die Ricken überaltern und nur noch schwache Kitze großziehen. Diese Reh-Omas sind auch oft sehr territorial und dulden kaum anderes weibliches Rehwild in ihrer Nähe. Keine Chance also für ein zugezogenes starkes Schmalreh, sich zu etablieren. Manchmal endet die Suche nach einem neuen Revier für das Rehfräulein auf der Strasse.

Dem klassischen Hegegedanken folgend, sollte es immer gelten, die schwächsten Stücke zu entnehmen. In der Praxis ist es nicht immer voll umsetzbar, aber man sollte ja zumindest sein jagdlich Bestes geben. Wichtig ist ein guter Überblick über die Rehbewegung im eigenen Revier.

Rehwild

Auch wenn ganz alte Traditionen etwas anderes besagen: dem weiblichen Wild gebührt ebenfalls ein letzter Bissen. (Foto: Dr. Stefan Birka)

Reh-Scanner

Man muss bereits ab April ein gutes Auge auf „seinen“ Rehbestand haben. Ob man dies nun persönlich, in Gemeinschaftsarbeit mit den Mitjägern oder via Wildkamera schafft, ist fast egal. Wichtig ist zu wissen, wo die Ricken mit den schlecht wachsenden  und spät gesetzten Kitzen stehen. Diese gilt es vorzumerken. Am besten Notizen machen, denn zu leicht wird das weibliche Reh im jagdlichen Tagesgeschäft vergessen. Natürlich muss man sich an diesen Stücken auch festbeißen wie an einem Bock, den man unbedingt erlegen will. Hier kommt dann wieder die jagdliche Bequemlichkeit ins Spiel. Ja, am Wildacker hätte man sein Stück vielleicht schneller in der Kühlzelle, aber der Effekt für einen starken Rehwildbestand wäre fraglich. Erklärtes Ziel einer Rehwildbejagung mit wirklichem Plan sollte es sein, bis zum Spätherbst alte Ricken mit schwachen Kitzen erlegt zu haben. Wann ist eine Ricke nun alt? Besser sollte man sagen überaltert.

Mit fünf Jahren ist eine Ricke zwar alt, führt aber üblicherweise noch normale Kitze. Dadurch, dass Ricken die Kitze austragen, gebären und säugen, sind sie körperlich mehr gefordert als die Bockfraktion. Ab sechs Jahren beginnt oft  schon der körperliche Abbau.

Aber auch die jungen, stärkeren Ricken sollte man auf dem Zettel haben. Bei Zwillingskitzen darf das schwächere Kitz entnommen werden. Bei Drillingskitzen – je nach Stärke – auch gerne die schwächsten zwei Kitze.

Überalterte Ricken

Hat man nun den Einstand einer „alten Tante“ erkannt, muss man natürlich zuerst alle ihre Kitze erlegen. Logisch. Eine Dublette oder Triplette mit der Ricke am Ende wäre perfekt. Das beste Werkzeug dafür ist ein Repetierer mit Schalldämpfer. Über die Kaliberfrage kann man streiten, aber man sollte nicht vergessen, dass es auf Reh geht und nicht auf kapitale Keiler. Erscheint die begehrte Beute, muss man zuerst etwas Geduld aufbringen. Die Ricke sollte nicht zu nah an der Deckung und möglichst schon breit stehen. Auch sollte sie beim Schuss auf das Kitz das Haupt unten haben und äsen. Allgemein ist es besser, wenn die Ricke das Kitz nicht unmittelbar sehen kann. Ein paar Büsche oder hohe Grasfahnen dazwischen sind wünschenswert.

Ricke

Starke Ricke, starkes Einzelkitz – nicht die erste Wahl für einen Abschuss. (Foto: unsplash/ Maciek Sulkowski)

Fällt der erste Schuss auf das Kitz, kann die Ricke oft durch den Dämpfer nicht sofort einordnen, was geschehen ist. Sie verhofft und äugt zum schlegelnden Kitz. Zügig repetieren und ein weiteres Kitz beschießen. Sollte es nur ein Einzelkitz gewesen sein, dann nimmt man natürlich sofort die Ricke ins Fadenkreuz.

Springt die Ricke ab, sollten noch 15 Minuten Wartezeit drin sein. Manchmal kommt sie zurück. Der Einsatz eines Blatters und des Kitzfieps kann auch noch helfen. Nun sind die Erfolgsaussichten auf die Erlegung des gesamten Familienverbandes schwer in Zahlen zu fassen, denn niemand weiß, welche Erfahrungen die Ricke bereits gesammelt hat. Wurde ihr bereits ein Kitz weggeschossen und der Jäger hat sich zu zeitig vom Sitz gewagt? Hat sie eine Verknüpfung zwischen Schuss und Anwesenheit des Menschen? Wie Telemetriestudien zeigen, hat jedes Reh seine eigene „Landscape of fear“, also eine Landkarte der Feindvermeidung. Ricken, deren Kitz auf einer Wiese erlegt  wurde, meiden diese Wiese teilweise für Monate, auch wenn beste Äsung lockt.

Daraus ergibt sich ein Problem, wenn die zum Abschuss vorgesehene Ricke nicht mit ihren Kitzen erlegt werden konnte. Sie wird den Erlegungsort oft meiden. So muss sie bei weiteren Ansitzen im näheren Umfeld gesucht werden, denn ihren Einstand wird sie nicht sofort wechseln.

Richtiger Zeitpunkt

Ein guter Indikator für die Vitalität beim weiblichen Rehwild ist der Fellwechsel. Bei starken Stücken ist dieser Ende September bis Anfang Oktober abgeschlossen. Wer also noch eine Entscheidungshilfe beim Abschuss braucht, der kann sich an den alten Merkspruch „Oktober rot, Ricke tot“ halten. Er stimmt doch immer wieder.

Ich vergaß einmal, einem jungen Jäger beim morgendlichen Rehansitz diesen Merkspruch mitzugeben. Während bei mir ein schwaches Rickenkitz zur Strecke kam, knallte es bei Ihm in kurzen Abständen zweimal. Es lagen eine zweijährige Ricke und ein Rickenkitz – beide Ende September voll grau verfärbt. Die Ricke brachte 20 Kilogramm auf die Waage und beim Kitz zeigte das Display 14 Kilogramm. Mein rötliches Rickenkitz hatte nur neun Kilo. Die Erlegungsorte lagen nur 500 m auseinander, aber dieses Beispiel zeigt auch schön die Schwankungsbreite innerhalb einer Rehpopulation. Sicher, ich war innerlich angefressen, aber einerseits war der Abschuss keine Totalkatastrophe und andererseits ging es ja irgendwie auf meine Kappe. Geschmeckt haben alle drei Stücken.

Mehr Fleisch am Kitz?

Ein paar Worte noch zur Größe der Kitze. Oft sind viele der Meinung, dass an den Kitzen im Dezember deutlich mehr dran ist.

Sicherlich wächst ein Kitz bis Dezember noch, es legt sich aber auch ein deutlich schweres Winterfell zu und die Nahrung wird im aufziehenden Winter für die Konzentratselektierer auch nicht reichhaltiger.Letztendlich muss jeder für sich selbst entscheiden, ob wenige Hundert Gramm mehr Fleisch für ihn ausschlaggebend sind. Im Herbst kann man auf jeden Fall noch sicher bei Licht jagen und muss nicht dem im Winter knappen Tageslicht nachhetzen.

Rehwild

Die Zunahmen ab Oktober sind relativ gering (Quelle: mod.nach C. Stubbe „Rehwild“)

Für eine frühe Erlegung spricht auch ein anderer Umstand: Schwache Stücke sind meist stärker mit Parasiten befallen. Diese „Parasitenschleudern“ sollten schnell aus dem Bestand entnommen werden. Auch nimmt ein Kitz, das sich seine Nahrung mit einer Armee von Würmern teilt, nicht in dem Maße zu, wie es sich mancher für seine Bratenbestellungen vielleicht erhofft.

Gemeinsam Rehwild bejagen

Der Abschuss des weiblichen Rehwildes ist eigentlich etwas Schmuckloses. Es gibt keine Gehörne für die Wand, ja nicht einmal Grandeln. Aber eine spannende Jagd und immerhin gutes Wildbret. Es sollte also gelingen Mitjäger zu motivieren. Ein gemeinsamer Morgenansitz mit anschließendem Frühstück im Wald kann nicht nur sehr gemütlich, sondern auch mit viel Waidmannsheil verbunden sein. Der Gemeinschaftsansitz bietet nicht nur den Vorteil, dass mehrere Revierecken gleichzeitig abgedeckt werden, es wird allgemein auch weniger im Revier gestört. Ein täglich schleichender Jäger vertritt deutlich mehr.

Die Drückjagd ist zwar auch eine gesellige Form der Jagd, aber für eine gezielte Rehwildbewirtschaftung ist sie eigentlich denkbar ungeeignet. Es gilt nur der Grundsatz Masse und oft kommt es zu Fehlabschüssen, da Ricke und Kitz im Treiben dann doch einmal getrennt werden. Einschränkend muss man natürlich sagen, dass der selektive Rehwildabschuss in geschlossenen Waldgebieten nur mit extremem Aufwand möglich ist und die Drückjagd dort dann oft die Lücken im Plan schließen muss.

Egal für welche Art der Abschusserfüllung man sich am Ende entscheidet, wichtig ist, dass man sauber jagt.