Schwarzwild bejagen – was taugt das Lüneburger Modell?

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Alt bewährt und trotzdem gut? - Das Lüneburger Modell ist vielen Jägern ein Begriff. Foto: Unsplash/Tim Schmidbauer

Nach dem Lüneburger Modell kann klar entschieden werden, welche Sauen bei der Jagd von Schwarzwild erlegt werden. Doch ist eine Sauenbejagung nach dem Lüneburger Modell noch zeitgemäß?

Informationen von Autor HARTWIG GÖRTLER

Was ist denn überhaupt das Lüneburger Modell?

Das Lüneburger Modell wurde Ende der 1960er Jahre von Norbert Teuwsen entwickelt. Teuwsen ist Landwirt, Forstmann und Kreisjägermeister im Regierungsbezirk Lüneburg. Ziel war es, die Sauenbestände mittels dieses Systems nachhaltig zu jagen. Die bisherige Art der Bejagung der Schwarzwildpopulation hatte nämlich dazu geführt, dass der Bestand sich ungesund entwickelt hatte: Die Strecken waren im Durchschnittsalter zu jung und brachten, aufgebrochen und gewogen, für ihr Alter zu wenig Gewicht auf die Waage.

 

Das Lüneburger Modell ist weniger Hege- als Bejagungsmodell

Das Modell steht im Einklang der Idee von Ferdinand von Raesfeld, welcher das „Hegen mit der Büchse“ ersonnen hatte – eben jene Idee, die heute häufig missinterpretiert wird. Hegen mit der Büchse bedeutet nicht, einfach Strecke zu machen. Im Gegenteil: von Raesfeld erkannte den Zusammenhang zwischen der Gesamtmenge des Wildes auf ein Habitat und deren Gesamtzustand. Er wollte also den Wildbestand durch selektiven Abschuss so steuern, dass ein hohes Maß an Qualität bei tragbarer Quantität erreicht wird.
Hege mit der Büchse bedeutet also nicht, zu schießen, was der Jagdschein hergibt. Es beherzt, streng selektiv so zu jagen, dass eine tragbare und gesunde Gesamtpopulation entsteht.

Demnach sind Frischlinge früh und scharf zu bejagen, spätestens sobald sie ihre Streifen verlieren. Sauen über 50 Kilogramm sind allerdings zu schonen und selektiv und mit Bedacht zu entnehmen, mit einem klaren Schwerpunkt auf die weiblichen Wildschweine. Die Bejagung folgt restriktiv der Selektion von sehr jungen, sehr alten oder schwachen Tieren. In jedem Fall ist ein Stamm erfahrener Bachen zu erhalten. Hierbei gilt: 90 Prozent Jugendklasse, 10 Prozent Altersklasse, diese aber selektiv.

 

Einfache Regeln beim Jagen von Schwarzwild

Im Lüneburger Modell wird klar und konsequent nach Gewichts- und nicht oder nur sehr bedingt nach Altersklassen auf Schwarzwild gejagt. Hierzu hat Teuwsen ein paar einfache Regeln erstellt:
Maximaler Eingriff bei den Frischlingen
Maximaler Eingriff bei den Überläufern – mit Schwerpunkt auf Überläuferbachen
Mäßiger und selektiver Eingriff in allen anderen Altersklassen

 

Die Sache mit dem „Schlauschießen“

Die alten Bachen merken sich über die Jahre, wo sie ihre Rotte hinführen müssen, um Nahrung, Wasser und Ein- bzw. Unterstand zu finden. Es ist wichtig, dass sie dieses Wissen an die Nachkommen weitergeben. Sauen sind lernfähig und lenkbar und können so über mehrere Generationen beeinflusst werden.
Am Stammtisch hört man oft, dass das Schwarzwild schwerer zu bejagen sei, weil man es „schlau geschossen hat“ – es soll also heimlicher und nur noch in der Nacht kommen. Andererseits heißt es, die Bejagung mit Nacht- und Wärmebildtechnik würde das Schwarzwild zur Tagaktivität treiben.

Beide Beobachtungen sind nicht per se falsch: Setzt man seine jagdlichen Möglichkeiten ein, führt dies zu einem Lerneffekt beim Schwarzwild – und das kann man nutzen.
Bejagt man das Schwarzwild immer und überall sofort, sobald es auftritt, dann weiß es irgendwann nicht mehr wohin. Man erreicht keine Regelmäßigkeit im Austreten und in der Flächennutzung des Schwarzwildes, wenn dieses unter allen Umständen geschossen wird. Jagd man aber nach einem bestimmten Muster, beispielsweise im Sommer auf dem Feld und im Winter im Wald, kann sich die Leitbache darauf einstellen. Auch wenn von jung auf alt und von klein auf groß bejagd wird, kann dieses Wissen weitergegeben werden.

Zu einem „schlauen Jagen“ gehört auch die Frage, wann man wo schießt. Foto: Unsplash/Kriztian Toth

Das Lüneburger Modell und die Wildbiologie

Das Lüneburger Modell nimmt Ideen zahlreicher Fachleute auf und wird auch später von Schwarzwildkennern kommentiert oder bestätigt. Die Grundlagen von Wagenknecht (1967) finden sich klar wieder und Ueckermann (1977), Henning (1998) oder Bredermann (2009) bestätigen die Ideen. Eingriffe zum einen in die Jugendklasse und zum anderen bei den weiblichen Stücken sind klare Reproduktionshemmer.

Die Reduktion des Nachwachsens hat Folgen: weniger Stücke finden mehr Futter und werden merklich kräftiger. Das Lüneburger Modell zielt dabei klar auf das Körpergewicht ab und nicht auf die Trophäenstärke. Diese ist eher als netter Nebeneffekt zu sehen, sollte aber keineswegs den Hauptantrieb bei der Jagd darstellen.

 

Herausforderung: Richtiges Selektieren beim Schwarzwild

Dass man beim Schwarzwild radikal in die Jugendklasse eingreifen soll, ist hinlänglich bekannt. Bei der Frage, ob man schon die Gestreiften erlegen oder lieber warten soll, bis sie mehr als fünf Kilogramm auf die Waage bringen – daran entbrennen ernste Diskussionen – Stichwort Wildbretverwertung. Das Ansprechen ändert sich, wenn die Borstler das erste Jahr vollendet haben.
Das richtige Ansprechen und Selektieren von Überläufern und mehrjährigen Sauen fällt also augenscheinlich schwer. Die Bilder von Drückjagdstrecken und falsch angesprochenen Sauen auf Erlegerfotos belegen dies immer wieder deutlich.

Richtig spannend wird es in den Altersklassen, denn hier sollen, wie oben beschrieben, zwei Dinge berücksichtigt werden: ab 50 Kilogramm ist zu schonen und nur noch sehr selektiv zu entnehmen. Der Schwerpunkt soll hier, insbesondere bei den Überläufern, auf den Bachen liegen. Es gilt also, einen Überläuferkeiler klar von einer Überläuferbache zu unterscheiden. Um hier sauber anzusprechen, muss man sich nicht nur beim Schwarzwild und seiner Soziologie ziemlich gut auskennen. Man muss auch die Bestände in seinem Revier so gut kennen, dass man unterscheiden, bewerten, ansprechen und selektieren kann. Es erfordert also nicht nur Praxiswissen, sondern auch regelmäßige Ansitze, um die Bestände in seinem Jagdbogen optimal zu kennen.

Zu guter Letzt erfordert es ein hohes Maß an Selbstdisziplin und das Vertrauen darauf, dass auch der Nachbar diese Disziplin aufbringt – ich habe einen Keiler von mir. Schießen? Schonen? Was, wenn ich ihn schone – und er andernorts erlegt wird?

 

Selbstdisziplin bei der Schwarzwildjagd

Vielerorts lassen sich die „Sauenprobleme“ weniger auf gute oder schlechte Hege- oder Bejagungsmodelle als vielmehr auf fehlendes Wissen in der Biologie und dem Sozialverhalten der Sauen zurückführen – auf das Unvermögen, richtig anzusprechen oder die Kenntnis um die Rottenstrukturen durch zu wenig Beobachtung.

Und oft auch im Unvermögen, den Finger gerade zu lassen.
Wie kann es sonst sein, dass immer wieder komplett falsche Stücke auf der Strecke liegen? Woher sonst soll es kommen, dass es in vielen Regionen so wenig wirklich alte und reife Keiler gibt, wenn sie nicht zu jung geschossen werden und landauf, landab junge Keiler wie alte Bassen zelebriert werden?

 

Der Klassiker: „Ich jage nach dem Lüneburger Modell – nur etwas anders.“

Oft hört man Argumente, warum „ausnahmsweise“ nicht nach dem Lüneburger Modell gejagt wird, denn „einen Keiler schießt man ja nicht alle Tage“. Solche Aussagen bringen das Konzept zum Wanken.
Egal wo, ob bei der Jagd oder im Beruf: Ein Konzept basiert auf einer Idee, einem Ziel und dem dazugehörigen Handlungsrahmen.

Nur wenn man den Rahmen einhält (in der Beratung spricht man hier von Framework oder Manifest), kann man überhaupt prüfen, ob das Vorgehen zielführend ist. Jede Ausnahme hat eine direkte Auswirkung auf die Zielerreichung. Und weil sich in aller Regel jemand ziemlich Gedanken über das Konzept gemacht hat, ist die Auswirkung einer dieser Ausnahmen meistens nicht positiv.

Ergo: Entweder jage ich nach dem Lüneburger Modell – oder nicht. Dann sollte man aber nach einem anderen Konzept jagen. Und insbesondere beim Schwarzwild ist es wichtig, ein tragfähiges Jagd- oder Hegekonzept zu haben.

 

Lüneburger Modell – Sollten wir weiter so Schwarzwild jagen?

Es stellt sich natürlich die Frage, ob dieses Modell aus der Mitte des letzten Jahrhunderts ein Erfolg war und heute nach wie vor in unseren Revieren tragfähig ist.

Das Lüneburger Modell fordert neben dem massiven Eingriff in die Jugendklasse und dem selektiven Abschuss in den Altersklassen auch eine alljährliche und mehrmonatige Jagdruhe auf das Schwarzwild. Die heutige Bevölkerungsdichte, die regional zum Teil hohe Sauenpopulation und letztendlich auch die Afrikanische Schweinepest lassen dieses Konzept zum Wanken kommen.

Davon abgesehen basiert das Lüneburger Modell aber auf Thesen, die im Laufe von Jahrzehnten immer wieder belegt worden sind: hoher Eingriff in die Jugendklasse, Reduktion an jungen Bachen, Selektion im Alter. Daher wird es wohl auch immer wieder aufgegriffen, weil es nachvollziehbar und wildbiologisch sinnvoll ist. Verschrien ist es, weil es nicht immer so funktioniert hat, wie man es sich gewünscht hat.

Kurzum: das Lüneburger Modell ist heute noch aktuell. Die Frage ist, wie gut der Jäger ist, der es anwendet.