6,5 Creedmoor und 6,5×55 im Praxistest

Die 6,5 Creedmoor ist in aller Munde, doch was leistet sie in der Praxis? Jens Tigges verrät welche technischen Unterschiede die beiden Kaliber haben.

Jens Tigges Patronen aufgereiht-min

Wenn es um Leistung geht, hat die 6,5 Creedmoor die Nase vor. Foto: Jens Tigges

Unser Autor Jens Tigges hat sich zwei hervorragende Rehwildkaliber für uns genauer angesehen und die 6,5 Creedmoor und die 6,5×55 miteinander verglichen.

Popcorn raus – Kaliberdiskussion! Scherz beiseite, wollen wir doch hier nur zwei sehr interessante und bewährte Patronen vergleichen. Beide eignen sich, wie viele andere auch, exzellent zur Bockjagd und zu vielem mehr. Beide vorgestellten Kaliber haben das immergrüne Kaliber 6,5 mm gemeinsam. Beide Geschosse glänzen mit überdurchschnittlich guter Stromlininenförmigkeit, einer hohen Querschnittsbelastung, sowie guter Eigenpräzision und geringem Rückstoß. Gestärkte Gemeinsamkeiten: Die im Vergleich zum Durchschnitt kleineren, schnelleren Kaliber erfahren zurzeit eine gewisse Renaissance. Das liegt daran, dass moderne Geschosse, wie vor allem bleifreie, aber auch aktuelle Bleikernvarianten, trotz geringerem Gewicht und höherer Geschwindigkeit, Tiefenwirkung mit hoher Ausschusswahrscheinlichkeit und trotzdem nicht unnötig hohe Wildbretentwertung bringen. Die Vorteile sind eine gestreckte Flugbahn, ein geringerer Rückstoß und eine größere Einsatzreichweite bei richtiger Laborierung. Soweit zu den Gemeinsamkeiten. An den durchaus vorhandenen Unterschieden lassen sich aber gut die Vorteile moderner Patronenentwicklungen aufzeigen.

Die Schweden-Patrone

Damit nicht gleich hochkochende Emotionen die klare Sicht auf die Fakten vernebeln, sei von Anfang an klargestellt: Niemand möchte der guten alten Schweden-Patrone ans (Elch)-Leder. Dafür hat sie sich in den letzten 128 Jahren viel zu wacker beim Militär, auf der Jagd und im Wettkampf geschlagen. Die Frage ist doch vielmehr: Was können moderne Patronen eventuell noch besser? Welche Patrone könnte sich für diesen Vergleich besser eignen, als die durchaus polarisierende 6,5 Creedmoor. Mittlerweile ist sie auch schon im 15. Jahr am Markt, in einigen Bereichen hat sie sogar die extrem populäre .308 Winchester verdrängt. Das liegt vor allem an der hohen Präzision und der ausgewogenen, effizienten Leistung der 6,5 Creedmoor.

Effizienz statt Hubraum!

Bei den Unterschieden fällt zuerst der, mit zeitgemäßen 4.350 bar, rund 550 bar oder 14,5% höhere Gasdruck der 6,5 Creedmoor auf. Das liegt vor allem daran, dass man bei diesem und allen anderen neuen Kalibern nicht auf existierende schwache Büchsenkonstruktionen Rücksicht nehmen muss. Das alleine führt aber nicht zu der mehr als 5% oder 45 m/s stärkeren Leistung bei gleichem Geschoßgewicht. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Unterschied zwischen der .308 Win zur 30-06 beträgt plus 4,5%! Dazu kommt nämlich noch eine bahnbrechende Erkenntnis beim Hülsen- und Patronendesign. Neben einem geringeren Hülsenkonus für mehr Innenvolumen bei gleicher Länge und einer steileren Schulter für eine bessere Pulverumsetzung, wurde die Hülse so gekürzt, dass selbst langgestreckte, extrem stromlinienförmige Geschosse so weit herausgesetzt werden können, dass diese nur minimal in den Pulverraum ragen. Dadurch wird die Effizienz nochmal erhöht, was mittlerweile noch in einigen weiteren neuen Kaliberkreationen wie der 6mm ARC, 6mm Creedmoor, 6,5 PRC, 6,8 Western und 300 PRC Verwendung gefunden hat. Bis dahin wurde die Leistungssteigerung von Patronen praktisch nur durch die Erhöhung des Pulverraums erreicht. Das führt dazu, dass die 6,5 Creedmoor die höhere Leistung, bei über 10% geringerem Hülsenvolumen, mit durchschnittlich 6% weniger Pulver als die 6,5×55 erreicht.

Eine Frage der Hülse

Das uneffektivere Hülsendesign mit relativ starkem Konus und flachem Schulterwinkel der 6,5×55, wie auch von vielen anderen älteren Kaliber bekannt, liegt unter anderem darin begründet, dass man damit die damals chemisch nicht so gut im Abbrandverhalten kontrollierbaren Treibladungsmittel in Schach zu halten versuchte. Dazu kommen häufig noch die absichtlich und in den CIP-Maßtafeln vorgeschriebenen, langen, weiten, ebenfalls gasdrucksenkenden Übergangskegel der Läufe, wodurch für eine gute Präzision häufig stumpfe Geschossformen mit langen Führungsflächen und schlechteren BC-Werten Verwendung finden mussten. Moderne Kaliber haben kürzere und vor allem sehr enge Übergänge vom Patronenlager in den gezogenen Teil des Laufes, die zu einer grundsätzlich höheren Präzision mit allen Geschossformen führen.

Klar im Vorteil – die 6,5 Creedmoor

Ein weiterer Vorteil der 6,5 Creedmoor, wie bei vielen neuen Kalibern, ist die kürzere Dralllänge. In unserem Vergleich sind es zwar nur 220 mm / 8.66“ der 6,5×55 zu den 203 mm / 8’’ der Creedmoor, dies führt aber dennoch dazu, dass extrem lange stromlininenförmige Projektile nicht verwendet werden können. Zur Veranschaulichung: Ein modernes Geschoss verliert schon auf 150 m schnell mal 30 m/s weniger, als ein gleichschweres, gleichschnelles Geschoss mit traditioneller Form. Zum Vergleich: 40 m/s sind der durchschnittliche Unterschied von der .308 Win. zur 30-06! Die neuen, optimierten Geschossformen haben auch dazu geführt, dass nicht mehr maximale Geschossgewichte pro Dralllänge, sondern technisch richtig die maximale Geschosslänge angegeben wird. Das ist aber nur für Wiederlader wichtig, denn Fabrikpatronen sind natürlich so konzipiert, dass sie in den Standard-Dralllängen problemlos funktionieren.

Für kurze Systeme

Ein eher kleiner Vorteil ist der, dass die 6,5 Creedmoor eine sogenannte Short Action-, also für Kurzsysteme geeignete Patrone ist. Diese sind wegen etwas geringerer Länge und geringerem Gewicht der Büchsen beliebt, wobei es immer weniger Hersteller gibt, die beide Systemlängen fertigen. Dann reduziert sich der Vorteil höchstens auf den kürzeren Repetierweg.

Fabrikpatronen

In einem Punkt hat die 6,5×55 dann wiederum die Nase leicht vorn: Bei der Anzahl der Fabrikpatronen. Wobei man feststellen muss, dass bei der Schweden-Patrone in der Bandbreite die leichten Raubwildlaborierungen fehlen, möchte man nicht leichte Vollmantel oder Hohlspitz-Matchgeschosse nehmen. (siehe Tabelle oder Anzahl im Text nennen)

Büchsenmodelle gibt es von internationalen Herstellern immer häufiger nur noch in 6,5 Creedmoor. Bei den europäischen Marken ist die 6,5×55 aber noch regelmäßig zu finden.

Geschwindigkeit wirkt!

Entscheidend für den gewünschten Einsatzzweck ist natürlich die Laborierungsauswahl. Von den schweren 9,1g-10,4 g/140-160 gr und damit auch langsamen (um 800 m/s) Bleigeschossen, kann und sollte man keine Wunder in der Augenblickswirkung erwarten. Sie sind gute, zuverlässige Allround-Laborierungen mit einer guten Balance aus Wirkung und Wildbretentwertung. Hier kann man die Wirkung höchstens mit extrem stromlinienförmigen Geschossen positiv beeinflussen, weil diese im Flug einfach deutlich weniger Geschwindigkeit verlieren und dementsprechend schneller und damit wirkungsvoller im Ziel ankommen. Anders sieht es da mit den leichteren, schnelleren Laborierungen aus. Bei 7,8 g/120 gr bis 8,5 g/130 gr. liegt die Mündungsgeschwindigkeit meistens über 850 m/s und damit nimmt auch die Augenblickswirkung deutlich zu. Ziemlich optimal ist die Kombination von leichten, monolithischen Deformationsgeschossen, die es in Laborierungen mit bis zu 930 m/s aus 50 cm Lauflänge gibt. Diese führt der Autor seit 2014 und hat auf praktisch alles von Fuchs bis Kudu erfolgreich damit gejagt.

Nichts für ganz kurze Läufe

Für kurze Läufe, unterhalb von 50 cm, eignen sich übrigens beide Kaliber nicht besonders gut, was an den, im Unterschied zu einer .308 Win oder 8×57 IS verwendeten, nur mittelschnell abbrennenden Pulversorten liegt.

Diese führen dann unterhalb von 50 cm zu überdurchschnittlich hohen Geschwindigkeitseinbußen von über 4m/s pro cm Lauflänge. Im Gegensatz zu Einbußen von 2,5 bis 3 m/s bei anderen Kalibern.

Fazit

Beide Patronen eignen sich sehr gut für die Bockjagd und mit der richtigen Laborierung für praktisch alle jagdlichen Aufgaben in Europa. Mit bleifreien Geschossen sind sie wegen ihrer leichteren, schnelleren Geschosse sogar einigen betagten „Großkalibern“ überlegen. Vielseitige Universalkaliber also. In diesem Sinne: Kaliberdiskussionen sind langwierig und unterhaltsam, wenn sie emotional geführt sind. Außerdem sind sie kurz und zielführend, wenn man die Fakten kennt.  Entscheiden Sie selbst!