Über 30 Schafe sind am 23. Dezember 2023 Opfer von Isegrim geworden. Für manche ist es lediglich ein weiterer Wolfsriss, für die Schäfer sind es Tragödien.
Es ist ein Anblick, den keiner so schnell vergisst: in der Gesamtgemeinde Suderburg wurden am 23. Dezember 2023 über 30 Schafe gerissen. Weit verstreut liegen ihre Körper – zerfetzt, angefressen und blutig. Teilweise leben die Tiere noch, leiden unvorstellbare Qual, während ihnen das Gescheide aus dem offenen Bauchraum quillt. Der Rest der Herde zeigt sich verstört – und der Schäfer ist verzweifelt.
Kulturgut durch Wolf in Gefahr
Die Schäferei gehört zu den ältesten Gewerben der Welt. Knapp 450 Tiere umfasst die Herde des betroffenen Wanderschäfers der Gesamtgemeinde Suderburg im Kreis Uelzen. Der Mann ist in seinen letzten Berufsjahren und Schäfer mit Leib und Seele. Den Anblick, der sich ihm am 23. Dezember 2023 bot, wird er wohl nie vergessen. Über 30 seiner Schafe liegen verstreut auf der Weide. Die meisten von ihnen tot, manche in ihren letzten Atemzügen. Mit offener Bauchdecke und heraushängenden Gedärmen. Viele weitere Schafe sind schwer verletzt. Sie wurden Opfer eines Wolfangriffes.
Der Schäfer lebt von dem Verkauf des Fleisches, dem Mutterschafgeld und teilweise auch vom Naturschutz, bei dem die Beweidung von Magerrasenflächen aus Landesmitteln finanziert wird. Die Tiere stehen alle zusammen, mit Ausnahme der Böcke. Diese werden zu einem bestimmten Zeitpunkt mit der Herde zusammengeführt. Zum Lammen kommt die Herde in den Stall. Sind die Lämmer dann groß genug, um sich dauerhaft draußen aufzuhalten, beweiden sie die Flächen um das Haus des Schäfers. Später dann wandert die Herde auf den landwirtschaftlichen Flächen umher und bietet den Landwirten einen erheblichen Nutzen, indem die Tiere die Vegetation runterfressen und zeitgleich den Boden düngen. In einem Umkreis von über 5 km können die Landwirte von den Schafen profitieren. Eine Win-Win-Situation auch für den Schäfer. Wäre da nicht der Wolf.
Der größte Fein: die Bürokratie
In den letzten 10 Jahren verzeichnete der Schäfer 24 Wolfsangriffe. Davon vier im letzten Jahr. Bereits im Januar gab es einen Riss, im März wurden erneut sieben Tiere von Isegrim. Dabei wurde die Herde in einem Umkreis von über 2 km versprengt. Besonders gefährlich waren die angrenzende Bundesstrasse und die Bahntrasse. Im Dezember dann zwei weitere Risse, einer davon an dem besagten Tag vor Heiligabend.
Wer nun behauptet, dass der Schäfer seinen Verlust ersetzt bekommt, der hat nur zum Teil Recht. Er verliert nicht nur seine Schafe, sondern auch deren Nachwuchs. Der Schäfer ist verpflichtet, die Trächtigkeit seiner Tiere nachzuweisen, damit er den entsprechenden finanziellen Ausgleich erhält. Dies ist jedoch nicht einfach. Die verletzten und getöteten Tiere liegen weit verstreut, es dauert mitunter Tage, ihre Körper zu finden. Bis dahin haben sich nicht nur der Wolf, sondern auch Füchse, Raben und andere Aasfresser über die Kadaver hergemacht.
Zudem wird kontrolliert, ob der Zaun ordnungsgemäß angebracht war. Zwar wurde der vom Wolfsbüro Niedersachsen (NLWKN) empfohlene Zaun verwendet, doch für das Raubtier ist es ein leichtes, darüber zu gelangen. Sind die Schafe in Panik und müssen vor ihrem Urfeind flüchten, rennen sie auch einen unter Strom stehenden Zaun ein. Im Nachgang ist es dann leicht, zu behaupten, der Zaun sei nicht ordnungsgemäß angebracht worden. Dass die Schafe ihn eingerannt haben, weil der Wolf den Zaun bereits überwinden konnte, spielt dabei scheinbar keine Rolle.
Was keiner sieht: die psychische Belastung
Ein Schäfer liebt seine Tiere. Natürlich ist ihm bewusst, dass Einzelne unterschiedlichen Umständen zum Opfer fallen können. Doch morgens eine Weide zu betreten, eine verstörte Herde zu sehen und die Kadaver seiner gerissenen Schafe einsammeln zu müssen ist damit nicht vergleichbar. Allein mit dem Einsammeln und Entsorgen der toten Tiere ist der Schäfer mehrere Tage beschäftigt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass manche Tiere noch leben, mehrere Stunden mit offener Bauchdecke auf der Wiese liegen und den erlösenden Fangschuss benötigen. Die noch zu rettenden verletzten Tiere müssen von einem Tierarzt behandelt werden. Im Anschluss folgt nicht nur die Sorge, um die Existenz. Sondern auch die Angst, vor weiteren Rissen. Wer könnte da nachts ein Auge zu machen?
Ist das Schlimmste beseitigt, beginnt der Papierkram. Es wird geprüft, ob auch den Richtlinien entsprechend versucht wurde, die Herde zu schützen, und ob und wie viel Entschädigung dem Schäfer zusteht. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch Nerven und belastet die Psyche eines jeden Nutztierhalters zusätzlich.
Schutzmaßnahmen ad absurdum
Immer wieder hört man, dass Weidevieh vor dem Wolf geschützt werden kann und dass die Politik solche Maßnahmen fördert. Doch was sich so verlockend anhört ist leider nicht immer auch einfach umzusetzen. Ein wolfssicherer Zaun ist für eine 450 Tiere umfassende wandernde Herde keine Option. Überhaupt einen Zaun aufzustellen ist bei dieser Herdengröße eine Herausforderung. Erst recht, wenn die Herde regelmäßig die Fläche wechselt. Zudem sind die Netze des Zaunes windanfälliger, je höher sie sind und halten daher bei Sturm und nassem Boden kein hungriges Raubtier mehr ab.
Auch Herdenschutzhunde sind keine Option. Der Schäfer befindet sich in seinen letzten Berufsjahren und kann sich kein Tier zulegen, dass über ein Jahrzehnt seiner Arbeit nachgehen möchte. Herdenschutzhunde leihen ist auch keine Option. Die Schafe würden die Hunde als Bedrohung empfinden, da sie nicht mit ihnen aufgewachsen sind. Das würde erheblichen Stress verursachen und im schlimmsten Fall dazu führen, dass die Tiere nicht trächtig werden oder ihre Lämmer verlieren. Zudem befinden sich die Flächen, auf denen die Tiere weiden, oft in Ortsrandlage. Das nächtliche Gebell der Schutzhunde würde für Verärgerung bei den Anwohnern sorgen. Und nicht zum ersten Mal müssten dann die Herdenschutzhunde in der Nacht weggesperrt werden.
Schutzstatus des Wolfes muss gesenkt werden
Trotz zusätzlicher Maßnahmen wir Kameraüberwachung, Kontrollfahrten, Bewegungsmeldern und teilweise sogar Nachtwachen, hat man dem Wolf nichts mehr entgegenzusetzen. Er reißt die Nutztiere sogar vor den Augen der Menschen und zeigt sich von ihren Bemühungen unbeeindruckt. Man fragt sich, was noch passieren muss, um der Politikverdrossenheit ein Ende zu setzen. Wann wird der Wolf als das Raubtier behandelt, das er auch ist? Wann beginnen die Menschen zu verstehen, dass Isegrim zwar in unserer Kulturlandschaft durchaus einen Platz hat, aber dass dieser Platz begrenzt ist? Und wann beginnt man, nicht nur den Wolf, sondern auch die Leidtragenden des Rückkehrers zu schützen?
Wenn der Schutzstatus des Wolfes nicht bald gesenkt wird, steigert sich die Frustration und die Wut der Geschädigten noch weiter. Und wer kann dann ausschließen, dass nicht der ein oder andere Wolf mit illegalen Mitteln ins Jenseits befördert wird? Das wäre eine Entwicklung, die keiner möchte – und die weder für den Wolf noch für Politik und Bevölkerung akzeptabel ist. Die größte Hürde in der Wolfsproblematik ist kein Zaun – sondern die Bürokratie.