Die Wölfin von Ohrdruf

Ein Wunder der Natur oder ein geschickt inszeniertes Medienereignis? Bilden Sie sich selbst eine Meinung.

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Kaum ist die April-Ausgabe des JÄGER am Kiosk, stehen die Telefone in der Redaktion nicht mehr still. Ein Anwohner aus der Gegend will die Wölfin von Ohrdruf mehrfach gesehen haben, andere wiederum empören sich über die angebliche Hetzkampagne gegen den Wolf. Die Thüringer Allgemeine spricht gar von Verschwörungstheorien, und der NABU-Sprecher Silvester Tamas wirft dem JÄGER mittelalterliche Methoden vor, um eine ebenso miese Stimmung wie in anderen Bundesländern, in denen der Wolf bereits heimisch ist, zu erzeugen. Anstoß des Ganzen ist der Artikel Das Wunder von Ohrdruf, in dem sich ein aufmerksamer Naturliebhaber und Nichtjäger zunächst darüber wundert, wie das Auftauchen einer jungen Wölfin auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf in Thüringen gezielt vom NABU in Szene gesetzt wurde und fragt sich anschließend, ob es sich nicht um eine gute Inszenierung handeln könnte.

 

Was war passiert?

Im Mai 2014 gelang es dem NABU-Mitglied und Angehörigen der Landesarbeitsgruppe (LAG) Wolf, Stefan B., beim Orchideen fotografieren, zahlreiche Nahaufnahmen eines Wolfes am Rande des Truppenübungsplatzes zu machen. Die Fotos waren von so guter Qualität, dass Alter und Geschlecht des Tieres eindeutig festzustellen waren. Und hier nimmt das Wunder seinen Anfang. Nicht nur, dass sich Kameraobjektive für Blütenaufnahmen nicht für die Ablichtung beweglicher Motive in größerer Distanz eignen, die etwa einjährige Fähe ließ es auch geschehen, dass man sie mehrfach bei bestem Licht fotografierte.

Gestern (am 18.03.2015) erklärte die Thüringer Allgemeine das allerdings folgendermaßen:

 

Geduldig wartete er (der Fotograf- Anmerkung der Redaktion) auf optimales Sonnenlicht und schlief darüber ein. Ein Geräusch ließ ihn jäh erwachen, und als er die Augen aufschlug, erblickte er etwa 25 Meter vor sich einen Wolf. Es war hilfreich, dass der Fotograf noch nicht das Nah-Objektiv aufgeschraubt hatte, das er für die Blumen benötigte. So gelangen ihm mit dem Tele-Objektiv sehr schöne Portraits vom ersten Thüringer Wolf.

 

Ob dies glaubwürdiger klingt, darf jeder selbst entscheiden. Fakt ist, dass sich bis dato der Fotograf geweigert hatte, nähere Angaben zu den Umständen der Bilder zu machen. Dieser Umstand allein wäre sicher in der Versenkung verschwunden und hätte wenig Aufmerksamkeit erregt. Dass die Wölfin aber gerade im vergangenen Mai in Thüringen bestätigt wurde, war ein ebenso passender Zufall. Nur kurze Zeit vorher hatte sich nämlich die LAG Wolf in Jena gegründet und erklärt, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis sich in der Gegend Wölfe ansiedelten. Mit dem Truppenübungsplatz hatte man schließlich ein Premiumhabitat vorzuweisen. Dass schon im vorangegangenen November ein Wolf von einer Wildkamera fotografiert wurde, hatte man geflissentlich unter den Tisch fallen lassen. Die kurze Zeit später von Herrn B. gemachten Hochglanzbilder eigneten sich viel besser als ein paar halbverschwommene Schwarzweiß-Aufnahmen, um die Daseinsberechtigung der Wolfs-gruppe endgültig zu zementieren. Wie beim Thema Wolf üblich, achtete man auch hier besonders darauf, möglichst wenig dem Zufall zu überlassen. Die ausschließlich gezielte Informationsweitergabe, seien es nun genetische Untersuchungen oder andere Nachweise, macht eine unabhängige Überprüfung durch Dritte nahezu unmöglich.

 

Eine Erklärung, woher die Wölfin stammte, ließ aber nicht lange auf sich warten. Untersuchungen von Kot und Haaren sowohl von Wölfen in Spremberg als auch von der Ohrdrufer Neuerscheinung ergaben eine eindeutige Verwandtschaft. Das junge Tier musste sich also auf die weite Reise durch das Erzgebirge und den Thüringer Wald gemacht haben, um sich auf dem ideal geeigneten Truppenübungsplatz niederzulassen, der bis auf wenige Quadratmeter genau denen vom NABU definierten Ansprüchen an ein Wolfshabitat entspricht. Recht mutig für ein nicht mal einjähriges Tier, besonders für ein weibliches. Denn junge Fähen wandern normalerweise erst im zweiten Lebensjahr aus ihrem Geburtsrudel ab, und dann meist nicht sehr weit. Auch zieht es Wölfe aus dem Osten Deutschlands eher Richtung Westen und Norden.

Erstaunlicherweise fand man aber nicht nur auf dem gut 100 Quardatkilometer großen Areal Spuren eines einzelnen Tieres, es gelang sogar, entlang der potenziellen Wanderoute immer wieder verwertbare Proben sicherzustellen. Merkwürdig ist nur, dass eine Wolfssichtung bei Zwickau im Nachhinein der Wölfin zugeordnet wurde, obwohl im August 2014 genetische Proben dort gezeigt hatten, dass sich dieser Wolf weder deutschen noch polnischen Rudeln zuordnen ließ. Woher er stammte, bleibt unklar. Möglich wäre jedoch, dass er aus den Alpen herübergewandert kam, um endlich eine Verbindung mit dem Mitteleuropäischen Flachland herzustellen. Ein lang gehegter Wunsch.

 

Vielleicht kehrt der italienische Liebhaber ja noch mal zurück. Die Wölfin ist jedenfalls in Ohrdruf geblieben, wie eine Wildkamera noch im Januar 2015 belegte. Schreckhafter ist sie allerdings geworden. Das nächtliche Klicken hatte sie so sehr irritiert, dass sie sofort das Weite suchte, bevor weitere Aufnahmen gemacht werden konnten.

 

Fazit: Ein junge Wölfin wandert zur falschen Zeit in die falsche Richtung und wird zufällig von einem, aus dem Schlaf hochschreckenden LAG Wolf-Mitglied mit einem ungeeigneten Objektiv gestochen scharf abgelichtet. Durch hinterlassene Spuren lässt sich die Wanderroute des Tiers jedoch eindeutig nachweisen, auch die genetische Herkunft kann zweifelsfrei geklärt werden. Ein Glücksfall für den NABU, Thüringen und den Wolf.

 

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