Beim Blick auf die Wände der Trophäenschauen – und es ist noch nicht einmal Pflicht, hier die erlegten Geweihe und Waffen zu präsentieren – entsteht der Eindruck, die Alterspyramide sei ein Relikt vergangener Zeiten. Wildmeister Jens Krüger unternimmt den Versuch, uns vom Gegenteil zu überzeugen.
Die Alterspyramiden für unsere Schalenwildarten sind nichts anderes als die zahlenmäßige Gliederung der Bestände in beide Geschlechter und in allen Altersklassen, sprich Jahrgängen. Sie wurden 1928 von Hoffmann eingeführt. Graphisch dargestellt, gibt uns die Alterspyramide brauchbare Anhaltspunkte für die Abschussplanung. Im linken Feld der Pyramide stehen die männlichen, im rechten Feld die weiblichen Stücke. Jedes Quadrat stellt ein Stück Wild dar. Die roten Quadrate geben den erforderlichen Abschuss an.
Diese Pyramiden stellen Bestandsmodelle dar, die in gleicher Form im Revier sicherlich nicht genau so eingehalten werden können. Doch der Vorteil der Alterspyramide ist, dass der Bestand optisch fassbar und somit verständlich wird. Bei der Bejagung von regionalen Schalenwildpopulationen sind ein natürlicher Altersaufbau und ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis anzustreben. Durch die Festlegung des Zielalters können wir ermitteln, wo wir in den jeweiligen Altersklassen eingreifen müssen. Hohes Zielalter bedingt einen steilen, niedriges einen flachen Pyramidenaufbau.
Altersklassenabschuss
Der Altersklassenabschuss hat das Ziel, eine artgerechte Alters- und Geschlechterstruktur zu erreichen oder erhalten; hierfür ist die Erfüllung des Abschussplans nach Geschlecht und jeweiliger Altersklasse erforderlich. Dem Schalenwild soll durch die Hege in seinen natürlichen Lebensräumen die Lebensgrundlage gesichert werden. Somit ist das Ansprechen aus Gründen des Tierschutzes und der Waidgerechtigkeit stets äußerst gewissenhaft durchzuführen. Gesetzesgrundlagen und Ausführungsbestimmungen für den richtigen Abschuss gibt es in allen Bundesländern mehr als genug.
Nur fragt man sich heute: Wie wird es umgesetzt, wer hält sich daran, wer achtet noch beim Ansprechen des weiblichen Wildes auf das Alter? Hegeschauen zeigen keine alten Böcke, keine reifen Keiler, keine Hirsche, die das Zielalter haben – und wenn überhaupt, dann in einem unbedeutenden Prozentsatz. Da stellt sich die Frage: Brauchen wir den gesunden Altersklassenaufbau und das ausgewogene Geschlechterverhältnis nicht mehr? Gilt es nur noch, Strecke zu machen mit Fluchtvisier und Weitschüssen ohne genaues Ansprechen? Nein, das darf es nicht sein, wir Jäger können viel mehr!
Unkalkulierbare Folgen
Würden uns unsere Altvorderen oder Biologen wie Ueckermann, Hansen, Briedermann oder Wagenknecht von oben bei unserem Tun in unseren Revieren beobachten, so würden sie sicherlich am liebsten wieder herunterkommen und uns zu- rechtweisen. Sie wussten: Schalenwild ist
Bestandteil der heimischen Natur. Kommt es durch unkontrolliertes Jagen zu einem schlechten Bestandsaufbau, sind die Folgen unkalkulierbar. Unsere Schalenwildarten – außer Rehwild vielleicht –, deren Lebensraum sich niemals mit den Grenzen unserer immer kleiner werdenden Reviere deckt, lässt sich nur revierübergreifend he- gen und richtig bejagen. Doch leider ist eine Veränderung der jagdlichen Mentalität zu beobachten, die jagdliche Disziplin und Kultur geht immer mehr verloren. Wer nun glaubt, die jagdliche Selektion hätte an Bedeutung verloren und der weibliche Abschuss könne nach Gutdünken durchgeführt werden, der täuscht sich. Lassen Sie uns daher die Notwendigkeit eines richtigen Altersklassenaufbaus biologisch durchleuchten. Wildbiologische Erkenntnisse verdeutlichen es.
Rotwild
Da ein Rothirsch erst mit sieben Jahren körperlich voll ausgewachsen ist, darf er vorher auch nicht an der Brunft teilnehmen, erst recht nicht als Platzhirsch auf- treten. Kann er es wegen mangelnder Konkurrenz doch, dann wird sich der durch die Brunft entstehende Masseverlust, mit dem der Hirsch in den Winter geht, auf den noch in der Entwicklung befindlichen Organismus negativ auswirken. Die körperliche Entwicklung bleibt zurück, so dass selbst ausgewachsen die normale Körpermasse nicht mehr erreicht wird. Natürlich nehmen die drei- bis sechsjährigen Hirsche am Brunftgeschehen teil, doch es ist eine passive Rolle. Ihre Pansen sind auch in der Brunft prall gefüllt.
Fehlen bei der Brunft alte, erfahrene Hirsche, werden die Alttiere zwar beschlagen, oft allerdings erst beim zweiten oder dritten Eisprung, der sich nach elf bis 15 Tagen wiederholt. Eine lange Brunft ist daher ein Indiz für das Fehlen reifer Hirsche. Die Alttiere werden spät beschlagen, die Kälber aufgrund der konstanten Tragzeit spät gesetzt und dann, wegen des „Versiegens der Milch“ ab der Brunft, nicht lange genug gesäugt. Sie bleiben unterernährt und gehen sehr oft nur schwach in den Winter. Nun entsteht ein Teufelskreis. Der Setztermin und die Nährstoffe in der Milch beeinflussen die Entwicklung des Kalbs maßgeblich.
So fanden Wissenschaftler heraus, dass die Laktationszeit, die durchschnittlich 18 Wochen andauert, verschiedene Körpermaße wie Gewicht, Schulterhöhe, Brustumfang und Schädellänge im ersten Jahr der Hirsche beeinflusst. Rotwild braucht zum sozialen Wohlbefinden auch Führungsqualität. Je nach Gruppenzusammensetzung und Jahreszeit sind Leittiere und auch reife Hirsche wichtig für die Sozialverbände. Ist diese Führungsqualität nicht gegeben und fehlen ruhige Freiflächen, dann steigt der Schaden durch Schäle und Verbiss.
Damwild
Das Gleiche gilt natürlich ebenfalls für das Damwild, das aber etwas eher ausgewachsen ist. Auch hier müssen Altersklassenaufbau und Geschlechterverhältnis stimmen. Damhirsche haben zudem eine viel höhere Sterblichkeitsrate, man denke nur an den hohen Aderlass durch die Brunftsterblichkeit. Der zu hohe Feistauf- und zu schnelle -abbau führt zu Störungen. Auch eine Pansenübersäuerung, bekannt als Pansenacidose, kann im akuten Fall rasant zum Tode führen und steigert so die Brunftsterblichkeit. Nach der Brunft wird heißhungrig der Pansen mit Mais, Eicheln, Bucheckern und jungem Raps vollgestopft. Folge ist eine Fehlverdauung der Äsung im Pansen. Es kann nicht wiedergekäut werden, und somit kommt es zu einer Anhäufung von sauren Abbauprodukten. Erlegte Brunftschaufler zeigen stets eine hellere, größere Leber.
Hier reden wir von der Fettleber, da die Leber einen überhöhten Fettgehalt aufweist. Hierbei kann die Kapazität der Leber derart überschritten wer- den, dass die Leistungsfähigkeit dieses Organs stark beeinträchtigt wird. Bei einem Mangel an Hirschen und einem Zuviel an Kahlwild kommt’s in der Brunft zu Dauerstress, den sich die leidenschaftlichen Herren antun. Die Nebennierenrinde schüttet Stresshormone aus, die wiederum die Abwehrkräfte des Immunsystems herabsetzen. Einmal in ein unausgewogenes Geschlechterverhältnis hineingeraten, ist es schwierig, dort wieder herauszukommen – eine wichtige Aufgabe der Damwildhegegemeinschaften.
Schwarzwild
Kommen wir zur schwierigsten Schalenwildjagd überhaupt, dem Schwarzwild. Denn in diesem Beitrag geht es um verantwortungsbewusste und zielgerichtete Bejagung. Das intelligente, streng sozial organisierte und äußerst anpassungsfähige Schwarzwild ist eindeutig ein Gewinner unserer Kulturlandschaft. Marodierende Frischlingsrotten und keine ranghohen Bachen, geschweige erfahrene Leitbachen, sind das Bild in den meisten Revieren. Und das, obwohl wir doch alle wissen: Schwarzwild benötigt die soziale Struktur.
Eine wichtige wildbiologische Erkenntnis ist, dass Schwarzwildrotten keine zufällig zusammengewürfelten Saubanden sind, die außer einer leicht zu erkennenden Mutter- Kind-Beziehung keine weiteren Bindungen aufweist und flurplündernd sowie unstet durch die Lande ziehen. Es sind Tiergruppen mit sehr komplexen Beziehungen unter- und zueinander. Die immer kleiner werdenden Reviere sind der Hege nicht dienlich. Fällt eine Leitbache dem Straßenverkehr oder der Kugel zum Opfer, bricht die komplexe Sozialstruktur zusammen mit allen negativen Folgen von unkoordiniertem Rauschen und Frischen bis zu vermehrten Wildschäden.
Es dauert eine ganze Weile, bis sich neue, stabile Familienstrukturen entwickeln. Der Zuwachs wird im Unterschied zu dem der übrigen Schalenwildarten unserer Reviere nicht auf den Frühjahrsbestand an weiblichem Wild bezogen, sondern auf den Gesamtbestand. So bedarf es auch einer ausreichenden Zahl starker Keiler, um Beschlag und damit Frischen fast zeitgleich zu ermöglichen.
Frischlinge bejagen!
Die hohe Reproduktion unseres Schwarz- wildes erfordert kluge und abgestimmte Jagdstrategien. Die Überlebensrate der Frischlinge hat den größten Einfluss auf die Zuwachsrate einer Sauenpopulation. Schon Ueckermann erkannte vor 40 Jahren, dass ein Frischlingsabschussanteil von 70 bis 75 Prozent nicht ausreiche, um den Bestand zu senken. Und Schwarzwild- experte Norbert Happ sagte immer: Wir müssen Frischlinge bejagen, als ob wir sie ausrotten wollten. Erreichen wir den hohen Frischlingsanteil, kommt es zum Auf- bau der intakten Altersstrukturen mit ranghohen Bachen und reifen Keilern. Die viel- beschworene Liebe der meisten Jäger zum Schwarzwild sollte sich in entsprechendem Handeln äußern.