„Deutschland hat Platz für 85 Wolfsrudel“
Dr. Julia Eggermann ist Biologin und arbeitet derzeit als Wissenschaftlerin an der Ruhr-Universität Bochum. Sie führte Wolfs-Monitorings in Polen und Portugal durch. Auf dieser Basis hat zudem potenziell für Wölfe in Deutschland geeignete Gebiete untersucht.
Einzelne Sichtungen deuten darauf hin, dass mit einer Ausbreitung der deztschen Wolfsbestände zu rechnen ist. Wie beurteilen Sie das Wanderungsverhalten?
Wölfe wandern teilweise über sehr weite Strecken von ihren Geburtsrudeln ab. Ein imposantes Beispiel hierfür ist der in Sachsen mit GPS-Sender versehene Wolf Alan, der rund 1500 Kilometer auf seinen Wanderungen zurücklegte. Andere Wölfe wiederum bewegen sich nur wenige Kilometer von ihrem Geburtsrudel entfernt. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass Jungwölfe einige hundert Kilometer weit laufen, bevor sie sich niederlassen und ein eigenes Rudel gründen. Es ist daher theoretisch durchaus möglich, dass einzelne Tiere in ganz Deutschland auftauchen. Allerdings ist zu bedenken, dass abwandernde Wölfe besonders gefährdet sind: Bei der Überquerung von größeren Straßen oder Autobahnen werden sie leicht überfahren. Dadurch wird die Migration wiederum stark eingeschränkt.
Wie groß ist die maximale Population, die in Deutschland stabil überleben könnte? Ich habe ein Modell erstellt, basierend auf Daten zu Wolfsvorkommen in Polen und Portugal, das ich auf den Raum Deutschland angewandt habe. Danach liegt die maximale Populationsgröße in optimalen Habitaten dem entsprechen etwa vier Prozent der Fläche Deutschlands – bei: 85 Wolfsrudeln bei einer Streifgebietgröße von 200 km² = 340 595 Wölfe bei einer Rudelgröße von vier bis sieben Wölfen Generell geeignet wenn auch nicht optimal sind etwa 32 Prozent der Fläche Deutschlands. Dabei ist allerdings zu beachten, dass diese Zahlen auf statistischen Berechnungen beruhen. Ob und wie die damit beschriebenen Entwicklungen tatsächlich eintreten, bleibt abzuwarten.
Welche Mindestanforderungen an einen Lebensraum stellt ein Wolfsrudel?
Die wichtigsten Grundvoraussetzungen für Wölfe sind ein genügend großes Beuteangebot, also Rehwild, Rotwild und Schwarzwild, sowie ein möglichst geringer anthropogener vom Menschen erzeugter Druck, etwa durch eine möglichst dünnmaschiges Straßennetz. Weiträumige, abgeschiedene Gebiete gehören nicht zwingend zu den Grundvoraussetzungen für Wolfsvorkommen. Insgesamt kann man sagen, dass für ein Überleben des Wolfes in Deutschland das wichtigste Kriterium die Akzeptanz der Menschen ist. Solange sie genügend Nahrung haben was in Deutschland fast flächendeckend der Fall ist und vom Menschen nicht zu stark illegal dezimiert werden, haben Wölfe in Deutschland eine gute Chance, auch langfristig zu überleben.
Ist es in Deutschland möglich, die Populationen in den verschiedenen Regionen so zu vernetzen, dass ein genetisch gesunder Bestand gewährleistet bleibt?
Ich denke, dass es langfristig möglich ist, einen genetisch gesunden Wolfsbestand in Deutschland zu haben. Die bereits bestehenden und zukünftig hinzukommenden Wolfsrudel im Osten Deutschlands sind bereits jetzt mit dem westpolnischen Wolfsbestand vernetzt. Die potenziellen Wolfsgebiete im Westen Deutschlands (die größten zusammenhängenden Gebiete liegt in der Region Eifel-Westerwald-Hunsrück) sind groß genug, um eine genügend hohe Anzahl von Wölfen zu fassen, so dass es nicht zum so genannten Flaschenhals-Effekt kommen sollte. In Zukunft könnte auch mit einer weiteren Zuwanderung von Wölfen aus der Alpenregion zu rechnen sein, was wiederum eine höhere genetische Vielfalt bedeuten würde auch wenn die italienische Wolfspopulation genetisch ziemlich stark verarmt ist.
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen müssten geschaffen werden, um eine Ansiedlung von Wölfen zu ermöglichen?
Ganz besonders wichtig ist ein tatsächlich wirksamer Schutz des Wolfes. Der Wolf hat in Deutschland langfristig keine Chance, wenn er illegal in großem Maße dezimiert wird. Seit Beginn der Rückkehr des Wolfes nach Deutschland ist rechnerisch (basierend auf Daten zur Reproduktion) bereits eine sehr große Anzahl von Wölfen verschwunden. Solange der Wolf nur auf dem Papier geschützt wird, wird er sich nicht weiter ausbreiten können. Ein zweiter wichtiger Punkt sind die Entschädigungszahlungen bei Haustierrissen. Diese stellen eine wichtige Voraussetzung zur Schaffung von Akzeptanz dar und müssen deshalb schnell und unkompliziert erfolgen. Den betroffenen Viehzüchtern dürfen keine Einbußen durch den Wolf entstehen. Dies läuft meines Wissens in Sachsen sehr gut.
Muss nicht in der dicht besiedelten Kulturlandschaft mit der ungewollten Einkreuzung von Hunden in die Wolfspopulation gerechnet werden?
Bei einer sehr geringen Wolfsdichte ist eine Hybridisierung mit Hunden nicht auszuschließen, wie der Fall aus dem Jahr 2003 in der Lausitz zeigt. Wie bereits dort geschehen, sollten als Wolf-Hund-Hybride identifizierte Tiere eingefangen werden.
Bedroht die Ausbreitung eines weiteren Beutegreifers unsere Niederwildbesätze?
Es sind bereits vielfach Nahrungsanalysen durchgeführt worden, bei welchen immer deutlich hervorging, dass sich Wölfe hauptsächlich von großem Schalenwild ernähren. Auch in der Lausitz sind solche Analysen gemacht worden. Diese zeigen, dass Hasenartige nur zu unter vier Prozent in der Wolfslosung zu finden waren. Andere mittelgroße und kleine Säuger sogar nur zu unter einem Prozent. Um den Rückgang der Artenvielfalt zu stoppen sind sicherlich gänzlich andere Ansatzpunkte wichtig (Habitatzerstörung und Habitatzerschneidung verringern!), welche alle beim Eingriff des Menschen in den Naturhaushalt zu suchen sind.