Wild vor Wald? Wald vor Wild? Hege mit dem großen Eimer? Oder etwa doch Wildtiermanagement?
Weder noch. In einem kleinen Revier im wendländischen Gartow wird seit Jahren mit Hilfe von Wildruhezonen ein erfolgreicher Kompromiss beschritten.
In vielen Gegenden Deutschlands sind die Fronten zwischen Waldbesitzern und Jägern verhärtet. Viele Bewirtschafter beklagen Verbiss und Schälschaden durch hohe Reh-, Rot- und Damwildbestände. Mancher Revierinhaber zahlt zähneknirschend hohe Pachten – und erwartet dafür im Ausgleich reichlich Anblick. Und selbst Einigkeit zwischen beiden Parteien bedeutet weder, dass unser vorsichtiges Schalenwild leichte Beute wäre, noch dass es sich waldverträglich verhielte. Auch Peter Burkhardt sah sich vor Jahren dieser Problematik ausgesetzt. Der Jäger und Wildfotograf übernahm 2004 das Revier Falkenmoor im Forstamt Gartow/Elbe im nordöstlichsten Zipfel Niedersachsens. Seitdem hat sich dort Manches verändert. Die Wildbestände hier waren damals enorm, Schälschäden und Verbiss waren gravierend – und wir mussten etwas tun, sagt Burkhardt, der, neben allen jagdlichen Interessen auch Verständnis für die wirtschaftlichen Erwägungen seines Verpächters Fried Graf von Bernstorff hat.
So begann er zunächst auf klassische Art, der Lage Herr zu werden. An den aussichtsreichen Einständen wurde der Kahlwildabschuss angestrebt, wurde auf Sauen angesessen, wurde gekirrt, wo sich schon der Vorgänger versucht hatte. Das Problem aber war, sagt Burhardt, dass durch die vielen Unruhe-Herde im Revier, das Wild in die Nacht verbannt wurde. Wir neigen ja immer dazu, Jogger und Reiter dafür verantwortlich zu machen. Doch irgendwann mussten wir uns eingestehen, dass auch unser eigenes Geklapper und Gekirre von den Tieren nicht als vertrauensbildende Maßnahme verstanden wurde.
Zeitenwende in Falkenmoor
So begann er, einen Teil des nur 230 Hektar großen Reviers zur Wildruhezone zu erklären. Auf rund zunächst 60 Hektar wird nun seit Jahren nicht mehr angesessen, nicht gekirrt und auch nicht einfach so herumgefahren. Alle Kanzeln wurden entfernt. Stattdessen legte Burkhardt in diesem Teil mehrere Suhlen sowie diverse kleine Wildäcker an. „Um die Wildäcker und Suhlen wird sich zweimal im Jahr gekümmert, sonst gibt es dort jagdlich nichts zu tun!“, erläutert er uns. Wenn Sie ein hungriger Hirsch wären und Ihnen würden in jedem Restaurant, das sie besuchen, die Kugeln um die Ohren fliegen, dann würden Sie künftig auch lieber zuhause speisen. Was Burkhardt mit einem Augenzwinkern schildert, ist eine simple, aber wegweisende Einsicht: Ruhe und Jagdverzicht honoriert unser Schalenwild gern durch Vertrautheit und Standorttreue. Gejagt wird in Falkenmoor seitdem vom Ansitz und in Intervallen nur noch außerhalb der Ruhezone.
Eine „Win-Win Situation“
Wir bejagen das Wild am Rande des Reviers, wenn es auf dem Hin- oder Rückweg in die Ruhezone ist und schöpfen so unseren Teil der Strecke ab, sagt Burkhardt. Die einzige Beunruhigung, die es auch im Kerneinstand hinnehmen muss, ist eine Drückjagd im Oktober, die über die gesamte Revierfläche geht. Später im Jahr können zu kleine Strecken gegebenenfalls noch korrigiert werden. Zudem ist der Gefahr des Abschusses führender Bachen im Herbst geringer und auch eine Notzeit-Witterung kennen wir im Oktober kaum. Durch Bejagung außerhalb der Ruhezone konnte in Falkenmoor der Abschuss bei allen Schalenwildarten erhöht werden. Weniger Fläche bejagen, aber mehr Wild erlegen ist kein Gegensatz, resümiert Burkhardt.
Das Rotwild, früher meist nur auf der Durchreise, ist hier mittlerweile Dauergast geworden. Dass es gelang, die Schäl- und Verbissschaden mehrere Jahre hintereinander zu minimieren, davon ist zumindest Burkhardt überzeugt, entsprechende Gutachten stehen aber noch aus. Ein unstrittiger Effekt der Wildruhezonen stellt alle anderen in den Schatten: Das sonst in Gartow heimliche Schalenwild wurde rasch tagaktiv. An einem Septembernachmittag einen Keiler im Gebräch zu beobachten in Falkenmoor kein Kunststück. Eine Rotwildbrunft am Tage zu erleben hier nicht ungewöhnlich. Denn Wild lernt dauerhaft und merkt sich genau, wo und von wem Gefahr ausgeht, resümiert Burkhardt. Das Rotwild kann ziemlich genau unterscheiden zwischen Joggern und Jägern, zwischen Harvester und Hundemeute. Deswegen müssen wir, wenn wir eingreifen, Dinge tun, die vom Wild nicht erlernbar sind, erläutert der Revierpächter. Auch deshalb führte er außerhalb der Ruhezone das Bejagen in Intervallen von offenen, verblendeten Leitern ein, statt von geschlossenen Kanzeln. Flankierend wurde zudem die Nachtjagd eingestellt.
Falkenmoor Vorbild für das ganze Forstamt?
Zwar ist Damwild die Hauptwildart in den Gartower Forsten, doch ziehen in den fast 6.000 Hektar Waldfläche (dominante Baumart ist die Kiefer) auch große Rotwildrudel ihre Fährte. Gerade das Rotwild stellt viele Pächter und Erlaubnisscheininhaber vor Probleme, da es meist sehr heimlich und wenig standorttreu ist. Dasselbe gilt für den Muffelbestand, der, stabil aber nicht sonderlich groß, in einzelnen Revieren regelmäßig beobachtet werden kann.